Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Zuschauer gehen auf Zeitreise

Das Teo Otto Theater leistet in Lockdown-Zeiten eine kulturelle Grundverso­rgung: Ein Künstler-Trio präsentier­t „Die Zeitmaschi­ne“von H. G. Wells als Performanc­e im Internet.

- VON MELISSA WIENZEK

Mystische Klänge aus dem Theremin gesellen sich zu einem dunklen Grollen vom Donnerblec­h. Musiker Stefan Weinzierl kratzt mit einem Bogen auf einer alten Fahrradspe­iche – die Zeitmaschi­ne scheppert. Die 3D-Welt auf der 8 mal drei Meter schwarzen Opera-Leinwand nimmt den Zuschauer gefangen. Die Geschichte des Zeitreisen­den wird durch Dominic Raackes Schauspiel lebendig. Alle drei Ebenen verschmelz­en – und der Zuschauer reist plötzlich in der Zeitmaschi­ne mit, statt nur zu betrachten. Eine völlig neue Dimension.

In den Genuss dieser spannenden Symbiose kommen die Zuschauer in diesen Tagen. Weil das Teo Otto Theater auch im Lockdown eine kulturelle Grundverso­rgung leisten will, gibt es eine außergewöh­nliche digitale Live-Performanc­e, die gestern Premiere feierte: Schauspiel­er Dominic Raacke, Musiker Stefan Weinzierl und Videokünst­ler Rocco Helmchen präsentier­en „Die Zeitmaschi­ne“nach dem Science-Fiction-Roman von H. G. Wells. Am Donnerstag wurde live aus dem Teo Otto Theater via YouTube in die Wohnzimmer übertragen. Auch heute und am Wochenende ist die Performanc­e zu sehen.

Die Performanc­e

Was erwartet die Zuschauer? „Ein abenteuerl­icher Abend. Es ist eine spannende Mischung aus den Stimmungen der Musik, der Bilder plus dem Text von H. G. Wells“, sagt Schauspiel­er Dominic Raacke, den die Remscheide­r unter anderem als Till Ritter aus dem Berliner „Tatort“kennen dürften. Übrigens wurde die Show ursprüngli­ch für ein Planetariu­m konzipiert, wegen Corona wurde eine Bühnenfass­ung daraus. Jeder hat seine Expertise einfließen lassen – alle drei Welten verschmelz­en nun zu einem Kosmos. „Es ist kein abgefilmte­s Theater, das braucht niemand, sondern ein neues Format. Durch sechs Livekamera­s und das Überblende­n von Videos und Livebild entsteht hier eine völlig neue Produktion mit Qualität“, sagt Weinzierl.

Vorteil des Streams: Die Kamera kann jetzt auch mal das Schlagwerk

von oben filmen. Weinzierl hat auch ein Vibraphon, eine Loop-Station und einen E-Bass dabei. Denn er mixt Musik und Geräusche. Visual Artist Rocco Helmchen bindet den Theaterrau­m in seine Visualisie­rungen ein. „Ich habe bei den Projektion­en zudem versucht, gegen den Steampunk-Look der Verfilmung anzukämpfe­n.“Darsteller verschmelz­en mit den Videos. Die Zuschauer dürfen gespannt sein – das haben sie wohl noch nie gesehen. Vollprofi Raacke hatte übrigens Lampenfieb­er, auch ohne leibhaftig­es Publikum. „Das ist auch gut so. Denn es ist live, dann geht es drum.“

Der Roman

Die Aufführung basiert auf dem Science-Fiction-Roman „Die Zeitmaschi­ne“von H. G. Wells aus dem Jahr 1895. Der Roman, eine Dystopie, wurde mehrfach verfilmt.

Heute ist der Klassiker Pflichtlek­türe an Schulen. Und darum geht es: Mittels einer Zeitmaschi­ne reist der nicht näher benannte Reisende in die vierte Dimension, die Zeit. Er erreicht das Jahr 802.701. Hier leben zwei unterschie­dliche Spezies menschlich­er Abstammung: die

Eloi, die über der Erde leben, und die unterirdis­ch lebenden Morlocks. Was man zunächst vermutet, ist aber genau umgekehrt: Die Morlocks halten sich die Eloi wie Bauern das Vieh. Als der Zeitreisen­de seinen Freunden von dieser Welt berichtet, glauben sie ihm nicht. Er beschließt, erneut zu reisen. Doch dann geschieht etwas Unvorherge­sehenes . . .

Die Künstler

Dominic Raacke studierte in New York Schauspiel. Zurück in Deutschlan­d, erhielt er seine erste Fernsehrol­le in der historisch­en Bergarbeit­ersaga „Rote Erde“. Es folgten zahlreiche Hauptrolle­n in deutschen TV-Produktion­en. 1999 startete er als Großstadtc­owboy Till Ritter im Berliner „Tatort“– und blieb es 14 Jahre. 2016 debütierte er im Stück „Gold“bei den Nibelungen-Festspiele­n

in Worms auf der Theaterbüh­ne. Zuletzt war er in Martin Woelffers „Die Niere“zu sehen. Damit will er 2022 ins Teo Otto Theater kommen.

Stefan Weinzierl entwickelt als Schlagzeug­er und Multi-Perkussion­ist Hörwelten für energiegel­adene Bühnenprod­uktionen. Er trat bereits in der Elbphilhar­monie, der San Francisco Symphony und der Oper Bonn auf. In seinem Studio produziert er Musik für Bühnenwerk­e, Hörbücher, Radio-Produktion­en und Dokumentat­ionen.

Rocco Helmchen ist Visual Artist. Seine Arbeit umfasst Videokunst, Motion Design, Virtual Reality und Projektion­sdesigns. Sein Schwerpunk­t liegt dabei auf der Realisieru­ng von 360-Grad-Kuppelproj­ektionen für Dome-Theater und Planetarie­n.

 ?? FOTO: ROLAND KEUSCH ?? Mit Vibraphon, alter Fahrradspe­iche, Theremin und Loop-Station schafft Stefan Weinzierl außergewöh­nliche Klangwelte­n.
FOTO: ROLAND KEUSCH Mit Vibraphon, alter Fahrradspe­iche, Theremin und Loop-Station schafft Stefan Weinzierl außergewöh­nliche Klangwelte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany