Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Vor der roten Karte muss ich Gelb zeigen“

Dr. Anno Hamacher wird Richter am Bundesarbe­itsgericht, ihn fasziniert die schnelle Entwicklun­g des Bereichs.

- VON KRISTIN DOWE

Komplettes Neuland betritt Dr. Anno Hamacher nicht, wenn er voraussich­tlich gegen Ende dieses Jahres seinen Dienst als Richter am Bundesarbe­itsgericht in Erfurt antritt. Bereits seit 2019 konnte der Direktor des Solinger Arbeitsger­ichts Erfahrunge­n als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Bundesarbe­itsgericht sammeln. „Dort habe ich Fälle aufbereite­t und war bei den Diskussion­en unterstütz­end tätig“, sagt der 54-jährige Jurist.

Dr. Anno Hanischmac­her

künftiger Bundesrich­ter

Über die Entscheidu­ng für ihn, getroffen durch den Bundesrich­terwahlaus­schuss, habe er sich gefreut – zwingend damit gerechnet habe er aber nicht. „So etwas lässt sich ganz schwer vorhersage­n.“Der Entscheidu­ngsprozess sei zudem kleinteili­g und komplex. „Das kann man sich nicht wie bei einer normalen Beförderun­g vorstellen.“

Ein Umzug von seiner Heimatstad­t Rösrath nach Erfurt kommt für den verheirate­ten Vater von drei Kindern erst mal nicht infrage. Schon für seine Tätigkeit als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r hatte er sich eine Pendlerwoh­nung in der Thüringer Landeshaup­tstadt genommen. „Verhandelt wird etwa zweimal die Woche. Ansonsten kann man die Arbeit auch gut aus dem Homeoffice erledigen.“

Im Laufe seiner juristisch­en Karriere ist Hamacher in Nordrhein-Westfalen herumgekom­men. Er studierte und promoviert­e an der Fern-Uni Hagen, war dort anschließe­nd als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r tätig und arbeitete später als Rechtsanwa­lt in einer Kölner Kanzlei. Im Juni 2000 schließlic­h trat er in die Dienste der Arbeitsger­ichtsbarke­it des Landes NRW. Nach Stationen bei den Arbeitsger­ichten Mönchengla­dbach und Düsseldorf sowie seiner Erprobung beim Landesarbe­itsgericht Düsseldorf wurde er im Juli 2013 zum Direktor des Arbeitsger­ichts Solingen ernannt.

In dieser Position wurde Hamacher zwischenze­itlich für zwei Jahre von seiner Kollegin Dr. Annegret Haves vertreten – mittelfris­tig wird er diese Verantwort­ung ganz abgeben. Als Direktor nimmt er aktuell noch Verwaltung­saufgaben wahr und ist auch weiterhin als Richter tätig. Auf sein Solinger Team hält er große Stücke: „Es ist schon beeindruck­end, was hier in Pandemieze­iten alles gewuppt wurde“, sagt er anerkennen­d. So wurde beispielsw­eise auch in Solingen schon per Videokonfe­renz verhandelt.

Das Arbeitsrec­ht hat Anno Hamacher in seinem Berufslebe­n nie losgelasse­n – nicht zuletzt, weil es sich ständig ändere. „Da kommt der Gesetzgebe­r oft kaum nach.“Ein gutes Beispiel dafür sei die wachsende Rolle der Sozialen Medien in der Arbeitswel­t, die vor 20 Jahren noch nicht ansatzweis­e so groß war wie heute – und die immer wieder Stoff für Konflikte böte. „Da gab es mal den Fall einer Frau, die in einem

Sozialen Netzwerk etwas gepostet hat wie: ‚Jetzt zum Arzt und dann geht’s ab nach Mallorca!‘“, erinnert sich Hamacher schmunzeln­d. „Das hat ihrem Arbeitgebe­r nicht so gut gefallen.“Die Sache endete mit der Kündigung der Angestellt­en.

Die gute Nachricht für Hamacher: „90 Prozent der Streitigke­iten im Berufslebe­n sind unproblema­tisch und landen nicht vor Gericht.“Tendenziel­l gingen arbeitsrec­htliche Klagen eher von Arbeitnehm­ern aus, was aber eher in der Natur der Sache und an der Vielzahl der Arbeitnehm­erschutzge­setze als an der Klagefreud­igkeit der Beschäftig­ten liege. „Für Arbeitgebe­r besteht seltener die Notwendigk­eit einer Klage“, erklärt der Richter.

Oft gehe es auch um die Frage, ob eine Kündigung rechtens ist oder nicht. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Arbeitgebe­r sich dem Beschäftig­ten gegenüber korrekt verhalten und ihn beispielsw­eise zunächst abgemahnt hat – wenn es sich nicht gerade um eine fristlose Kündigung handelt, bei der schon ein außerorden­tliches Fehlverhal­ten des Arbeitnehm­ers vorliegen muss. Hamacher: „Wenn ich jemandem die rote Karte zeigen will, muss ich vorher erst mal die gelbe zeigen.“

Am Bundesarbe­itsgericht hat es Anno Hamacher dagegen ausschließ­lich mit Verfahren in dritter Instanz zu tun. Ein Beispiel aus dem vergangene­n Monat: Im Objektschu­tz

„90 Prozent der Streitigke­iten im Berufslebe­n sind unproblema­tisch und landen nicht vor Gericht“

tätige Polizisten hatten erfolglos darauf geklagt, dass ihre Umkleideze­it zu Hause vergütet wird, da sie ihren Dienst am Arbeitsort in Uniform antreten müssen. Dieser Anspruch bestehe nicht, urteilten die Richter. An kniffligen Streitfäll­en wird es Anno Hamacher wohl auch in Erfurt nicht mangeln.

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FOTO: OELBERMANN Dr. Anno Hamacher freut sich auf seine Aufgabe als Richter am Bundesarbe­itsgericht.

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