Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Vor der roten Karte muss ich Gelb zeigen“
Dr. Anno Hamacher wird Richter am Bundesarbeitsgericht, ihn fasziniert die schnelle Entwicklung des Bereichs.
Komplettes Neuland betritt Dr. Anno Hamacher nicht, wenn er voraussichtlich gegen Ende dieses Jahres seinen Dienst als Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt antritt. Bereits seit 2019 konnte der Direktor des Solinger Arbeitsgerichts Erfahrungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesarbeitsgericht sammeln. „Dort habe ich Fälle aufbereitet und war bei den Diskussionen unterstützend tätig“, sagt der 54-jährige Jurist.
Dr. Anno Hanischmacher
künftiger Bundesrichter
Über die Entscheidung für ihn, getroffen durch den Bundesrichterwahlausschuss, habe er sich gefreut – zwingend damit gerechnet habe er aber nicht. „So etwas lässt sich ganz schwer vorhersagen.“Der Entscheidungsprozess sei zudem kleinteilig und komplex. „Das kann man sich nicht wie bei einer normalen Beförderung vorstellen.“
Ein Umzug von seiner Heimatstadt Rösrath nach Erfurt kommt für den verheirateten Vater von drei Kindern erst mal nicht infrage. Schon für seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter hatte er sich eine Pendlerwohnung in der Thüringer Landeshauptstadt genommen. „Verhandelt wird etwa zweimal die Woche. Ansonsten kann man die Arbeit auch gut aus dem Homeoffice erledigen.“
Im Laufe seiner juristischen Karriere ist Hamacher in Nordrhein-Westfalen herumgekommen. Er studierte und promovierte an der Fern-Uni Hagen, war dort anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und arbeitete später als Rechtsanwalt in einer Kölner Kanzlei. Im Juni 2000 schließlich trat er in die Dienste der Arbeitsgerichtsbarkeit des Landes NRW. Nach Stationen bei den Arbeitsgerichten Mönchengladbach und Düsseldorf sowie seiner Erprobung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf wurde er im Juli 2013 zum Direktor des Arbeitsgerichts Solingen ernannt.
In dieser Position wurde Hamacher zwischenzeitlich für zwei Jahre von seiner Kollegin Dr. Annegret Haves vertreten – mittelfristig wird er diese Verantwortung ganz abgeben. Als Direktor nimmt er aktuell noch Verwaltungsaufgaben wahr und ist auch weiterhin als Richter tätig. Auf sein Solinger Team hält er große Stücke: „Es ist schon beeindruckend, was hier in Pandemiezeiten alles gewuppt wurde“, sagt er anerkennend. So wurde beispielsweise auch in Solingen schon per Videokonferenz verhandelt.
Das Arbeitsrecht hat Anno Hamacher in seinem Berufsleben nie losgelassen – nicht zuletzt, weil es sich ständig ändere. „Da kommt der Gesetzgeber oft kaum nach.“Ein gutes Beispiel dafür sei die wachsende Rolle der Sozialen Medien in der Arbeitswelt, die vor 20 Jahren noch nicht ansatzweise so groß war wie heute – und die immer wieder Stoff für Konflikte böte. „Da gab es mal den Fall einer Frau, die in einem
Sozialen Netzwerk etwas gepostet hat wie: ‚Jetzt zum Arzt und dann geht’s ab nach Mallorca!‘“, erinnert sich Hamacher schmunzelnd. „Das hat ihrem Arbeitgeber nicht so gut gefallen.“Die Sache endete mit der Kündigung der Angestellten.
Die gute Nachricht für Hamacher: „90 Prozent der Streitigkeiten im Berufsleben sind unproblematisch und landen nicht vor Gericht.“Tendenziell gingen arbeitsrechtliche Klagen eher von Arbeitnehmern aus, was aber eher in der Natur der Sache und an der Vielzahl der Arbeitnehmerschutzgesetze als an der Klagefreudigkeit der Beschäftigten liege. „Für Arbeitgeber besteht seltener die Notwendigkeit einer Klage“, erklärt der Richter.
Oft gehe es auch um die Frage, ob eine Kündigung rechtens ist oder nicht. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Arbeitgeber sich dem Beschäftigten gegenüber korrekt verhalten und ihn beispielsweise zunächst abgemahnt hat – wenn es sich nicht gerade um eine fristlose Kündigung handelt, bei der schon ein außerordentliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegen muss. Hamacher: „Wenn ich jemandem die rote Karte zeigen will, muss ich vorher erst mal die gelbe zeigen.“
Am Bundesarbeitsgericht hat es Anno Hamacher dagegen ausschließlich mit Verfahren in dritter Instanz zu tun. Ein Beispiel aus dem vergangenen Monat: Im Objektschutz
„90 Prozent der Streitigkeiten im Berufsleben sind unproblematisch und landen nicht vor Gericht“
tätige Polizisten hatten erfolglos darauf geklagt, dass ihre Umkleidezeit zu Hause vergütet wird, da sie ihren Dienst am Arbeitsort in Uniform antreten müssen. Dieser Anspruch bestehe nicht, urteilten die Richter. An kniffligen Streitfällen wird es Anno Hamacher wohl auch in Erfurt nicht mangeln.