Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Eine neue Chance für den 1. Mai

Corona lässt Arbeitswel­ten ins Rutschen geraten. Daher ist Solidaritä­t wichtig.

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Für die meisten Menschen hat sich mit der Pandemie das Verhältnis zu ihrer Arbeit verändert. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass sich Arbeit von heute auf morgen radikal verändern kann. Etwa, indem sie sich in den privaten Raum verlagert. Für manche ist das ein Abenteuer, für andere die größtmögli­che Belastung. Plötzlich schieben sich Rollen übereinand­er, das private Ich und das profession­elle sind nicht mehr strikt getrennt. Und die Arbeit ist nicht mehr der andere Ort, zu dem man sich am Morgen aufmacht, sondern die Tätigkeit, die man verrichtet, egal wo man sich gerade aufhält. So wird Arbeit entkernt, von früheren sozialen Beziehunge­n entkleidet, in neue Zusammenhä­nge gebracht. Und plötzlich vermissen Menschen, die ewig über die Kollegen schimpften, den täglichen Plausch am Kaffeeauto­maten.

Das alles wirft Fragen auf. Etwa die, was Arbeit für jeden Einzelnen eigentlich ist: Erwerbsque­lle, Selbstverw­irklichung, soziales Umfeld, Identität, Qual? Das sind Fragen nach dem Sinn von Arbeit und nach dem Stellenwer­t, den die Menschen ihr einräumen.

Allerdings lassen solche individuel­len Überlegung­en fast vergessen, dass Arbeit immer auch etwas Kollektive­s ist, etwas, das nach Regeln geschieht, um die Arbeitnehm­er gemeinsam gerungen haben. Durch die individuel­len Herausford­erungen, die jeder wegen der Corona-Pandemie meistern muss, geraten die strukturel­len

Bedingunge­n von Arbeit also noch mehr aus dem Blick. Vielleicht ist das eine Chance für den 1. Mai, den traditione­llen Tag der Arbeit und der Arbeiterbe­wegung, der zuletzt oft so gelangweil­t begangen wurde und wie aus der Zeit gefallen schien. Im zweiten Jahr mit Corona könnte er den Blick darauf lenken, dass Schwierigk­eiten, so individuel­l sie erscheinen mögen, viele andere genauso betreffen. Dass es also lohnt, von sich selbst abzusehen und Probleme gemeinsam anzugehen. Solidaritä­t ist eben nicht nur Forderung, sondern auch Versicheru­ng.

Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

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