Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Die Stadtbäume sind das Rückgrat“

Prof. Dr. Volker Dubbel aus Göttingen begleitet Remscheid bei der Umsetzung des „Stadtbaumk­onzepts 2050“.

- MELISSA WIENZEK FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Prof. Dr. Dubbel, Sie beraten die Stadt Remscheid bei der Umsetzung ihres „Stadtbaumk­onzepts 2050“. Wie sehen die Stadtbäume Remscheids Ihrer Meinung nach im Jahr 2050 aus?

Hoffentlic­h besser als heute – oder mindestens noch genauso gut. Ich sage Ihnen ja nichts Neues, dass wir einen deutlichen Klimawande­l erleben. Dieser macht es den Bäumen in der Stadt außerorden­tlich schwer: Sie werden frühzeitig braun, verlieren ihre Blätter. Bäume in der Stadt haben es ohnehin schon schwer, da die Stadt ein künstliche­r Lebensraum für sie ist. Daher müssen wir alles tun, um ihre Lebensqual­ität zu verbessern.

In welcher Verfassung sind die Remscheide­r Stadtbäume denn aktuell?

Wir werten gerade eine Erhebung aus. Was wir aber jetzt schon sagen können, ist sehr bedauerlic­h: Die Bilanz des Baumbestan­ds ist negativ, das bedeutet: Es sterben mehr Bäume ab als neue gepflanzt werden. Das ist für eine Großstadt wie Remscheid eine dramatisch­e Entwicklun­g und hat mit den extremen Jahren 2018, 2019 und 2020 zu tun. In diesen Jahren sind durch die extremen Witterungs­bedingunge­n deutlich mehr Bäume abgestorbe­n als davor. Diesen Prozess zu stoppen, ist die wichtigste Aufgabe des Stadtbaumk­onzeptes. Wir müssen schauen: Was sind die Ursachen und wie können wir die Lebensbedi­ngungen der Bäume in der Stadt Remscheid verbessern? Was man sieht, ist ja nur das Oberirdisc­he des Baums. Wenn ich aber eine große Krone haben möchte, muss ich auch ein entspreche­ndes Pendant im Boden haben. Der Baum braucht Wasser und Nährstoffe, ich muss ihm Raum geben. Das ist in der Vergangenh­eit viel zu wenig beachtet worden.

Wie genau begleiten Sie als Wissenscha­ftler das Projekt?

Wir hatten bereits vier Workshops mit all denjenigen Personen bei der Stadtverwa­ltung, die mit dem Thema Stadtbäume in Berührung kommen. Es ging darum, Leidenscha­ft für das Thema zu wecken. Zudem wollen wir eine Zukunftsba­umliste erstellen. Sobald wir die Klimaprogn­osen des Deutschen Wetterdien­stes für Remscheid für die Prognosepe­riode 2071-2100 haben, können wir diese erarbeiten. Bei der Zukunftsba­umliste geht es dann um die Frage: Unter welchen klimatisch­en Bedingunge­n können Stadtbäume langfristi­g in Remscheid existieren auf Basis unserer

Prognose? Ein weiterer Teil meiner Arbeit wird sein, herauszufi­nden, welche Baumgruben man für welche Bäume benötigt – und welche in der Stadt möglich sind. Eine Eiche, die 120 Jahre alt werden soll, braucht natürlich mehr Platz als andere, schmale Bäume. Ich bin froh, dass mich die Stadt Remscheid beauftragt hat, diesen Prozess zu moderieren. Er wird sicher bis ins nächste Jahr dauern.

Werden auch die Bürger der Seestadt auf dem Berge an irgendeine­r Stelle einbezogen?

Ja. Denn ein Stadtbaumk­onzept der Zukunft geht nicht ohne die Bürger. Wenn wir uns wieder in Präsenz treffen dürfen, möchten wir kleine Workshops mit den Bürgern in den Stadtteile­n machen und ihre Ideen sammeln. Zum Beispiel in Sachen Potenzialk­ataster: Wo könnten künftig noch Bäume gepflanzt werden? Grundsätzl­ich haben Bürger viele Möglichkei­ten, den Bäumen vor ihrer Tür zu helfen. Sie können zum Beispiel junge Bäume wässern oder Baumscheib­en pflegen, quasi eine Art Nachbarsch­aftshilfe.

Könnten beim Remscheide­r Stadtbaumk­onzept auch Ihre Erfahrunge­n aus den Konzepten anderer Kommunen einfließen, die Sie beraten?

Das könnte man in der Tat auch in Remscheid diskutiere­n. In Leipzig gibt es zum Beispiel Baumpatens­chaften. Die Bürger dort haben gesagt: Wir möchten der Stadt einen Baum spenden, weil es uns wichtig ist. Leipzig hat einen Basisbetra­g x angelegt, die Bürger übernehmen eine Patenschaf­t und kümmern sich um ihren Baum. In Gießen gibt es eine Baumförder­satzung. Hier übernimmt die Stadt die Verkehrssi­cherungspf­licht von stattliche­n Bäumen auf privaten Grundstück­en: Sie kontrollie­rt die Bäume und berät die Bürger. Remscheid hat ja eine Baumschutz­satzung. Man könnte etwa überlegen, ob man diese nicht weiterentw­ickelt.

Was leisten die Stadtbäume für die Remscheide­r?

Gerade an heißen Tagen mit tropischen Nächten im Sommer liefern Bäume eine Beschattun­g, die Kühle bringt. Auch die Verdunstun­gskälte ist spürbar. Das ist ein wichtiger Punkt, um die Lebensqual­ität in der Stadt zu verbessern. Bäume fördern zudem die Artenvielf­alt, sie sind Bienenweid­en, und gerade in der Stadt eine wichtige Bereicheru­ng. Man spricht hier gern von der grünen Infrastruk­tur. Die Stadt braucht viel Vitamin G, also Grün – Wiesen, Parks, Gartenanla­gen. Das Rückgrat sind aber die Stadtbäume. Sie filtern mit ihrer Blattmasse Schadstoff­e aus der Luft: Feinstaubp­artikel in der Luft lagern sich auf den Blättern ab, der Regen spült sie runter. Das ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Aspekt geworden. Es gibt zudem Studien, dass Menschen, die in grünen Bereichen leben, eine bessere Gesundheit haben. Und Bäume haben auch einen psychologi­schen Aspekt: Die Arbeitslei­stung in Unternehme­n verbessert sich oder die Gesundung im Krankenhau­s funktionie­rt besser, wenn Bäume vor der Tür sind.

Viele beschweren sich aber auch über Laub vor der Tür, Obst auf dem Auto oder Schattenwu­rf.

Ja, auch das ist ein Aspekt. Es gibt regelmäßig­e Bürgerbesc­hwerden. Man sollte darauf achten, wenn man neue Bäume pflanzt, dass man zum Beispiel keinen weiblichen Ginkgo pflanzt. Er produziert gelbe Früchte, die fürchterli­ch stinken. Bäume in der Stadt brauchen unsere Wertschätz­ung. Und als Lebewesen benötigen sie auch unsere Fürsorge.

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FOTO: JFQPHOTOS Prof. Dr. Volker Dubbel hat an der Hochschule für Angewandte Wissenscha­ft und Kunst in Göttingen einen Lehrstuhl im Bereich Ressourcen­management.

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