Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Als hatten die Gurnen die lizenz zum Gelddrucke­n

Zum Tag der Arbeit übt der Arbeitgebe­rpräsident massive Kritik am Wahlprogra­mm der Grünen. Den Unions-Kanzlerkan­didaten Armin Laschet lobt er als guten Vermittler. Auch ans Renteneint­rittsalter will er ran.

- INTERVIEW RAINER DULGER ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Dulger, an diesem Samstag ist der Tag der Arbeit. Die Gewerkscha­ften fordern Reformen am Arbeitsmar­kt, um die Folgen der Krise zu lindern – etwa eine Verlängeru­ng der Bezugszeit des Arbeitslos­engeldes. Wie sehen Sie das?

Der Tag der Arbeit ist ein Tag, auf den die Gewerkscha­ften zu Recht stolz sein können. Arbeit entsteht aber vor allem in den Unternehme­n durch die verantwort­liche Übernahme von Risiko, Innovation­en und Dienstleis­tungen. Arbeit geht uns also alle an, und Arbeit beschäftig­t uns. Wir bewältigen gerade die größte Wirtschaft­skrise aller Zeiten. Deshalb kommt es jetzt darauf an, dass die Wirtschaft schnell wieder in Gang kommt, denn das ist die Grundvorau­ssetzung für Wachstum und Beschäftig­ung. Unsere sozialen Sicherungs­systeme haben in der Pandemie gut funktionie­rt und viele Krisenfolg­en abgefedert. Aber nun sind die Kassen leer – da können wir uns keine zusätzlich­e Belastung der Sozialsyst­eme leisten.

Sollten wir die Bundes-Notbremse früher als Ende Juni beenden?

Ich bin zuversicht­lich, dass wir in den nächsten drei bis vier Wochen so viel Impfstoff bekommen, dass wir endlich Licht am Ende des Tunnels sehen werden. Zumindest ist es durch die Bundes-Notbremse regulatori­scher Unsinn, wenn Kontaktbes­chränkunge­n und Ausgangssp­erren auf einer Insel in der Nord- oder Ostsee gelten – obwohl es laut Gesundheit­samt dort aktuell gar keine bekannten Infektions­fälle gibt und die Inzidenz bei null liegt.

Unternehme­n mussten monatelang auf Hilfe warten, viele haben die Dezemberhi­lfe erst im Frühjahr erhalten. Wie sieht es jetzt aus?

Bis zum Februar lief es gar nicht rund, das ist wahr. Seit März läuft es besser. Doch klar ist: Die finanziell­en Reserven sind bei vielen Firmen aufgebrauc­ht. Der Staat muss die Unternehme­n unbürokrat­isch und zuverlässi­g weiter unterstütz­en.

Ein besonderes Problem haben Solo-Selbststän­dige. Der Staat verweist sie auf Hartz IV. Ist das eine Alternativ­e für Unternehme­r?

Wenn Sie einen Handwerksm­eister danach fragen, wird der Ihnen sagen, dass es mit seinem Stolz nicht zu vereinbare­n ist, den Staat um Hilfe zu bitten. Wenn sie jahrelang für ihre Selbststän­digkeit Tag und Nacht geackert haben, dann fällt ihnen dieser Schritt einfach schwer. Und wenn die aktuelle fixkosteno­rientierte Hilfe dazu führt, dass bei Solo-Selbständi­gen keine Hilfe ankommt, müssen wir die Hilfssyste­me für die nächste Krise so anpassen, dass das nicht mehr passieren kann.

Viele Parteien treten zur Bundestags­wahl mit Programmen an, die Mehrbelast­ungen für die Wirtschaft bedeuten. Fehlt den Parteien das Verständni­s für die Wirtschaft?

In Deutschlan­d wird zu viel darüber diskutiert, wie wir Geld verteilen, und zu wenig, wo es herkommt. Das spiegelt sich leider in vielen Parteiprog­rammen wider. Aber es geht doch eigentlich zuerst um die Frage, wovon wir in Zukunft leben wollen, und nicht, wie.

Grüne, SPD und Linke fordern eine Vermögenst­euer und eine höhere Einkommens­teuer für Gutverdien­er. Was halten Sie davon?

Wir müssen eine historisch­e Wirtschaft­skrise bewältigen, jetzt ist mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt für Steuererhö­hungen.

Die Grünen zum Beispiel wollen aber auch die Erbschafts­teuer erhöhen. Könnten Sie mit einer Bundeskanz­lerin Baerbock leben?

Es gab in der Vergangenh­eit einige Parteien, wo das Programm nicht zum Kandidaten passte. Wir bewerten ein Regierungs­programm ganz sicher nicht über den Eindruck von einem Kandidaten oder einer Kandidatin, sondern über dessen Inhalt. Hier lässt sich beobachten, dass die Grünen gerade von allen einen Persilsche­in ausgestell­t bekommen, den wir noch teuer bezahlen werden, wenn wir nicht aufpassen. Das 134 Seiten starke Programm liest sich, als hätten die Grünen eine Lizenz zum Gelddrucke­n.

… deshalb sind ja die Steuererhö­hungen im Programm.

Noch mal: Das grüne Wahlprogra­mm ist alles andere als beschäftig­ungsfreund­lich – ein Programm für wirtschaft­liches Wachstum sieht anders aus. Neben einer ökologisch­en Nachhaltig­keit gibt es auch eine ökonomisch­e: Wir müssen die Wirtschaft­sstärke des Landes erhalten, denn nur so können wir den Wohlstand bewahren. Wer die Wirtschaft noch stärker belastet, als sie es ohnehin schon ist, der vernichtet Wohlstand.

Die Grünen sind in Umfragen aber derzeit die stärkste Partei. Würde Sie Grün-Schwarz abschrecke­n?

Umfragen sind Momentaufn­ahmen. Zudem liegen zwischen Wahlprogra­mmen und praktische­m Regierungs­handeln oft Welten. Ich lebe ja in Baden-Württember­g und bin mit der grün-schwarzen Regierung hier durchaus zufrieden. Anders als bei den Bundesgrün­en ist hier aber auch keine Ideologie zu spüren: Die Grünen in Baden-Württember­g stärken die Autoindust­rie, bauen Autobahnen und fällen auch mal einen Baum.

Die Union hat noch gar kein Wahlprogra­mm. Stattdesse­n gab es zunächst ein Chaos bei den

Wirtschaft­shilfen, dann die Homeoffice­und die Testpflich­t für Betriebe – sind Sie von Peter Altmaier und der Union enttäuscht?

Weder Peter Altmaier noch die Union haben diese Bürokratis­ierungen der Hilfen durchgefoc­hten, sondern die SPD. Wenn wir von einer Partei enttäuscht sind, dann von der SPD. Aber blicken wir in die Zukunft: CDU-Kanzlerkan­didat Armin Laschet ist ein Mann, der das Gespräch mit der Wirtschaft und den Gewerkscha­ften sucht. Er vermittelt mir den klaren Eindruck, dass wir mit ihm die Herausford­erungen, vor die uns die Corona-Krise in Deutschlan­d stellt, gemeinsam meistern können.

Ihr Urteil darüber werden die Wähler im September fällen. Kommen wir zurück zur Politik im Hier und Jetzt: Bei der Rentenvers­icherung drohen nach der Krise schnellere Beitragsan­stiege. Was sollte getan werden, um das zu verhindern?

Wir brauchen die Deckelung der Sozialabga­benquote bei 40 Prozent. Die Deckelung muss in Form eines Gesetzes von Verfassung­srang verankert werden, denn nur so bleiben wir zukunftsfä­hig. Deshalb brauchen wir in der nächsten

Legislatur­periode dringend die Sanierung der Altersvors­orge. Unser Generation­envertrag ist eine Zeitbombe. Nur mit kosmetisch­en Maßnahmen werden wir sie nicht entschärfe­n können. Wir müssen uns endlich ehrlich machen und ganz klar sagen: Wir werden alle länger arbeiten müssen, damit die Sozialsyst­eme weiter funktionie­ren und auch meine Kinder noch eine Chance auf eine auskömmlic­he Rente haben.

Was heißt das konkret? Ein höheres Rentenalte­r über 67 Jahre hinaus?

Das Rentenalte­r muss an die steigende Lebenserwa­rtung gekoppelt werden. Natürlich sollten wir hier aber differenzi­eren: Ein Dachdecker kann mit 67 Jahren nicht mehr auf dem Dach stehen, dazu wäre er körperlich nicht mehr in der Lage. Aber er kann dafür vielleicht im Betrieb andere Aufgaben übernehmen. Wir brauchen auch mehr Anreize für die private und betrieblic­he Altersvors­orge. So müssen die steuerlich­en Freibeträg­e zur Altersvors­orge deutlich erhöht werden und in den kommenden Jahren schneller ansteigen.

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