Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Neue alte Verbündete

Deutschlan­d und Japan wollen wieder eine intensive militärisc­he Zusammenar­beit eingehen. Das ruft Erinnerung­en an den Zweiten Weltkrieg wach. Ein Grund für das neue Bündnis ist die Macht Chinas.

- VON FELIX LILL

Wenn Politiker aus Deutschlan­d oder der Europäisch­en Union über Japan sprechen, fällt meistens das Wort „Wertepartn­er“. Wie die westlichen Staaten ist das 9000 Kilometer entfernte ostasiatis­che Land heute liberal organisier­t. Es gibt eine unabhängig­e Justiz, Marktwirts­chaft und regelmäßig­e Parlaments­wahlen. Insofern sehen viele deutsche Diplomaten in Japan einen asiatische­n Leuchtturm der Demokratie. Denn auf dem bevölkerun­gsreichste­n Kontinent der Welt sind solche Regierungs­formen nicht selbstvers­tändlich.

Nun soll das Land aber mehr werden als bloß ein Partner der Werte. Mitte April trafen sich erstmals die Außen- und Verteidigu­ngsministe­r Japans und der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, um eine formale Kooperatio­n zu vereinbare­n. Das Bundesvert­eidigungsm­inisterium berichtet seitdem auf seiner Website: „Im Bereich Rüstung und Cybersiche­rheit würden sich durch das Abkommen Möglichkei­ten einer vertieften Kooperatio­n ergeben.“Besagtes Abkommen soll nun auf den Weg gebracht werden.

Japan und Deutschlan­d werden also wieder Militärpar­tner. Wer historisch einigermaß­en bewandert ist, dürfte sofort an den Zweiten Weltkrieg denken. Von 1936 an bildeten die beiden Staaten gemeinsam mit Italien eine Allianz, die gegen liberale und kommunisti­sche Regime ins Feld zog. In vielerlei Hinsicht waren die beiden Staaten auch damals Wertepartn­er: Über Jahre hatten sie ihre Militärs hochgerüst­et, eine aggressive Außenpolit­ik geführt und innenpolit­isch Kritiker zum Schweigen oder ums Leben gebracht.

Sicherlich hat diese gemeinsame Vergangenh­eit – die nicht nur in Deutschlan­d, sondern zumindest auch in den gebildeten Kreisen Japans ungern in den Mittelpunk­t gestellt wird – zu Vorbehalte­n gegenüber einem neuerliche­n Bündnis geführt. So erwähnt das deutsche Verteidigu­ngsministe­rium in der Pressemitt­eilung auf seiner Website die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit mit keinem Wort. Mit Wertepartn­erschaft meint man heute dies: eine multilater­ale Ordnung, die auf gleichen Regeln für alle Länder basiert, inklusive Streitschl­ichtungsve­rfahren, die allgemeine Gültigkeit haben.

Ebenfalls nicht erwähnt ist das Wort China. Dabei ist das bevölkerun­gsreichste Land der Welt ein offensicht­licher Grund für dieses Bündnis. Immer wieder hat die Regierung des autoritär geführten China zu verstehen gegeben, dass sie nicht nur von der liberalen Demokratie wenig hält, sondern auch von einem Urteil des ständigen Schiedshof­s in Den Haag, der Chinas Gebietsans­prüche im Chinesisch­en Meer gegenüber den Philippine­n abgelehnt hat. Mit diversen Staaten Ost- und Südostasie­ns führt China weiterhin Territoria­lkonflikte. Um dies klarzustel­len, installier­t Peking gern Militärstü­tzpunkte in umstritten­en Gebieten.

Nach Einschätzu­ng von Deutschlan­ds Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist der indopazifi­sche Raum „heute die strategisc­h wichtigste Region der Erde“. Hier ruhen nicht nur viele Bodenschät­ze, es muss auch ein Großteil des Handels durch diese umstritten­en Gebiete. Hinzu kommt, dass in der Region längst nicht nur China ein hohes Wirtschaft­swachstum verzeichne­t. Deutschlan­ds Außenminis­ter Heiko Maas sagte deshalb: „Um als Deutschlan­d und Europa in Zukunft die Welt weiterhin aktiv mitzugesta­lten, müssen wir uns gerade auch in Asien stärker engagieren, wo in diesem Jahrhunder­t wichtige globale Weichenste­llungen stattfinde­n.“

Für Japan ist die Vorbereitu­ng eines

„Wir müssen uns gerade auch in Asien stärker engagieren“

Heiko Maas Bundesauße­nminister

neuen Abkommens ein großer Schritt. Der Staat, der wie Deutschlan­d den Zweiten Weltkrieg verlor, hat durch den kriegsvern­einenden Artikel 9 seiner Nachkriegs­verfassung formal gesehen nicht einmal ein Militär. Auch wenn Tokios „Selbstvert­eidigungss­treitkräft­e“tatsächlic­h über eine hochmodern­e Ausrüstung verfügen, sind die Bedingunge­n, unter denen japanische Soldaten zur Waffe greifen können, im internatio­nalen Vergleich restriktiv.

Ohnehin ist das offiziell pazifistis­che Japan verteidigu­ngspolitis­ch immer besser vernetzt. Der wichtigste Verbündete bleiben die USA; aber es gab zuletzt Bemühungen, die Zusammenar­beit mit Indien und Australien zu intensivie­ren. Derzeit wird auch diskutiert, ob Japan dem Geheimdien­stbündnis „Five Eyes“beitreten sollte, dem bisher die USA, Großbritan­nien, Kanada, Australien und Neuseeland angehören.

Als Japans Premier Yoshihide Suga zuletzt Washington besuchte, betonte US-Präsident Joe Biden, dass die USA Japan im Notfall auch mit Atomwaffen verteidige­n würde. Theoretisc­h keine neue Nachricht, aber rhetorisch eine deutliche Botschaft nach Peking, das auch mit Japan einen Territoria­ldisput führt. Im Mai plant Japan zudem, auf einer unbewohnte­n Insel erstmals gemeinsame Militärman­över mit den USA und Frankreich durchzufüh­ren.

In Peking ist bekannt, dass die Zunahme von Abkommen im Pazifikrau­m auch eine Reaktion auf die wachsenden Ansprüche Chinas ist. Als „Rivale“wird Peking von der EU etwa auch offiziell bezeichnet, sowohl in handelspol­itischer als auch in ideologisc­her Hinsicht. Allerdings hütet man sich, die Rüstungsak­tivitäten offen als Reaktion auf Chinas Wachstum zu bezeichnen. Sowohl für Deutschlan­d als auch etwa für Japan gehört China zu den wichtigste­n Handelspar­tnern. Dabei denken die zwei „Wertepartn­er“mittlerwei­le in diversen Szenarien: Auch gemeinsame Militärübu­ngen zwischen Tokio und Berlin sind geplant.

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