Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Eine Ruckrede ohne Ruck

- VON JAN DREBES DER RUHIGE KANZLERKAN­DIDAT, POLITIK

Olaf Scholz musste es an diesem Sonntag wuppen. Die Stimmung drehen, den Beweis antreten, dass ein Kreuzchen bei der SPD auf dem Wahlzettel eine gute Idee ist. Was er vor Technikern aber ohne Zuschauer oder Delegierte beim digitalen Parteitag ablieferte, hatte das Zeug zu einer Ruckrede. Er machte klar, dass die SPD zwar in den vergangene­n Jahren mitregiert habe, ohne Richtlinie­nkompetenz im Kanzleramt aber längst nicht alles gegen die Union durchsetze­n konnte, was sie eigentlich vorhatte. Scholz konzentrie­rte sich in seiner Rede, die eher einer Fernsehans­prache an die Nation glich, auf die Zukunft. Scholz und die SPD wollen mit Milliarden und einer neuen Umverteilu­ng den „Fortschrit­ts-Stau“, wie es Scholz nannte, beseitigen.

Doch der Ruckrede fehlt der Ruck. Und das liegt an Scholz. Er ist eben nicht der Typ für emotional mitreißend­e Auftritte, für spontane Jubelschre­ie. Erfolge wie die Wohnungsba­upolitik in Hamburg erwähnt er selbstrede­nd, Skandale wie Wirecard jedoch nicht. Und auch nicht die schlechten Umfragewer­te seiner Partei. Dabei hätte ihm das gut zu Gesicht gestanden. Offensiv diese Probleme anzusprech­en, für sich zu drehen, selbst die Aufholjagd auszurufen. Schließlic­h steht er intern unter Druck, die Genossen sind nervös angesichts des Umfragetal­s.

Und Scholz bleibt nicht mehr viel Zeit. Bereits im August gehen die Wahlunterl­agen für die Briefwahl an die Menschen raus. Geht man von einem ähnlich hohen Anteil an Briefwähle­rstimmen wie zuletzt in Rheinland-Pfalz und Baden-Württember­g aus, da waren es rund die Hälfte, muss er aufs Tempo drücken. Will Scholz also Kanzler werden, muss er mindestens Platz zwei hinter Union oder Grünen belegen. Und dafür muss zuerst ein Ruck durch Scholz selbst gehen.

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