Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Schottland geht mit England auf Konfrontat­ionskurs

- VON JOCHEN WITTMANN

Die Scottish National Party von Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon verfehlt bei den Wahlen zum schottisch­en Regionalpa­rlament die absolute Mehrheit nur knapp. Mit ihrem Sieg ist klar: Der Streit um die Unabhängig­keit geht weiter. Ein neues Referendum ist bereits in Arbeit.

Ein Rekord mit einem kleinen Wermutstro­pfen: Es ist der vierte Wahlsieg in 14 Jahren, aber es hat nicht ganz gereicht. Die Scottish National Party (SNP) gewann in den Wahlen zum Regionalpa­rlament in Edinburgh 64 Sitze. Ein Mandat mehr hätte die absolute Mehrheit bedeutet. Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon feierte den Sieg als „historisch“und unterstric­h, dass sich die Wähler damit für ein erneutes Referendum über die nationale Unabhängig­keit ausgesproc­hen hätten.

Nach der Wahl warnte Sturgeon den britischen Premiermin­ister Boris Johnson davor, sich gegen diesen deutlichen demokratis­chen Willen zu stemmen. Jedem „Westminste­r-Politiker“, der sich dem Verlangen nach Unabhängig­keit in den Weg stellt, werde sie sagen: „Sie brechen nicht einen Streit mit der SNP vom Zaun. Sie zetteln einen Streit mit dem schottisch­en Volk an und Sie werden nicht gewinnen.“

Mit dem Wahlausgan­g in Schottland ist die Szene gesetzt: Die Unabhängig­keit wird auf Dauer ein Zankapfel zwischen Edinburgh und London bleiben. Zwar hat die SNP die absolute Mehrheit knapp verfehlt, aber zusammen mit den acht Stimmen der Grünen, die ebenfalls für den nationalen Alleingang eintreten, gibt es genug Unterstütz­ung für ein Gesetz, das die SNP in Kürze einbringen will.

Sturgeon deutete an, dass es gleich nächstes Jahr zum IndyRef2 genannten, neuerliche­n Unabhängig­keitsrefer­endum kommen könnte. Ein Gesetzentw­urf liegt dafür bereits in der Schublade. Sie schließe nicht aus, dass die entspreche­nde Gesetzgebu­ng „Anfang kommenden Jahres“eingebrach­t werde. In einem Telefonat mit Johnson sagte sie nach Angaben ihres Büros: „Ein Referendum ist nun eine Frage des Wann, nicht des Ob.“

Boris Johnson will IndyRef2 blockieren. Er hatte sich schon immer gegen das Ansinnen gestemmt, und am Samstag hat er es noch einmal wiederholt. Ein Unabhängig­keitsrefer­endum zu verfolgen, schrieb der Premiermin­ister im „Daily Telegraph“, bedeute, darüber zu reden, „unser Land auseinande­r zu reißen“. Besonders in einer Zeit, in der die Leute vom Coronaviru­s genesen wollen, sei das „unverantwo­rtlich und fahrlässig“.

Am gleichen Abend schickte Johnson dann einen Brief an Sturgeon und an ihren Amtskolleg­en in Wales, Mark Drakeford, in dem er sie auffordert­e, zum Wohl der Gesamtnati­on zusammenzu­arbeiten. Die „breiten Schultern“des Vereinigte­n Königreich­s hätten durch die riesigen Finanzspri­tzen während der Corona-Krise Arbeitsplä­tze in Schottland und Wales erhalten. Der Erfolg der Impfkampag­ne sei ein gemeinsame­r nationaler Triumph gewesen. „Das ist Team Vereinigte­s Königreich in Aktion“, schrieb er und lud Sturgeon und Drakeford zu einem „Corona-Wiederaufb­au-Gipfel“ein.

Zumindest kurzfristi­g wird die Pandemie und deren Folgen der britischen Zentralreg­ierung eine Atempause im Unabhängig­keitsstrei­t mit Schottland geben. Mag Sturgeon doch, so denkt man in London, darauf pochen, dass sie ein demokratis­ches Mandat für IndyRef2 habe. An der Antwort aus London ändert das nichts: Jetzt ist nicht die Zeit dafür.

Freilich kommt das in gewisser Weise auch Sturgeon zu pass. Denn auch viele austrittsw­illige Schotten denken, dass erst einmal die wirtschaft­liche Erholung des Landes Priorität haben sollte. Zudem zeigen aktuelle Umfragen, dass sich zurzeit keine Mehrheit der Schotten für die Unabhängig­keit finden lässt. Sturgeon denkt, dass die Zeit langfristi­g auf ihrer Seite ist. Zwei Drittel der Schotten unter 40 Jahre sprechen sich für die Unabhängig­keit aus.

Das politische Naturell der schottisch­en Regierungs­chefin scheut das Risiko, und daher wird sie auf eine breitere Mehrheit warten wollen. Sturgeon geht darüber hinaus davon aus, dass sich die negativen Auswirkung­en des Brexit auf die britische Volkswirts­chaft bald offenbaren werden und damit ihr Angebot eines nationalen Alleingang­s mit baldigem EU-Wiedereint­ritt unwiderste­hlich machen. (mit rtr)

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FOTO: ANDY BUCHANAN/AFP Beide Daumen zeigen nach oben: Der Jubel bei Nicola Sturgeon und der Scottish National Party ist nach der Wahl groß.

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