Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Genesen, aber nicht gesund
Im März 2020 liegt er auf der Intensivstation und träumt von Hollywood. Als Peter Eichholz aus dem Koma erwacht, glaubt er, Covid-19 besiegt zu haben. Doch es beginnt ein Kampf gegen die Folgen der Krankheit, die bis heute anhalten.
Da grinsen sie in die Kamera, im weißen Sand von Hurghada, 25 Grad, laues Wüstenwetter, vier Frauen, ein Mann und das verdammte Virus ist vielleicht auch schon dabei, aber so genau kann das heute niemand sagen. Peter Eichholz packt das Foto wieder weg. „Scheiße“, sagt er, „damals hatte ich gar kein Testament gemacht.“
Eichholz war in seinen 57 Jahren oft in Ägypten, es ist so schön da, immer Sonne, sagt er. In seiner Wohnung in Duisburg sammelt er die Bilder der Reisen. Vor Kurzem hat er noch ein weiteres ins Regal gestellt. Darauf winken die Kumpels, Arm in Arm, darüber steht: „Gesundheit. Glück. Bier. Werde schnell fit.“Im März 2020 gaben sie es auf der Intensivstation ab. Ihr Freund lag im Koma, Bauchlage, Schlauch im Rachen, es war ernst.
Strandurlaub in Afrika also, Anfang März, vom 8. bis zum 15., am Beginn der Pandemie, das war mindestens ein Wagnis, aber kein Wahnsinn. In Deutschland saßen Schüler morgens noch in engen Klassenzimmern und tanzten nachts in noch engeren Diskotheken. Politiker fragten Virologen, wie schlimm dieses Coronavirus wohl einschlagen wird im Land. Eichholz, pensionierter Beamter, dachte, es wird schon gut gehen. Ist doch nicht so groß, das Risiko. Mit unwahrscheinlichen Dingen ist es oft so: Kommen sie doch, werfen sie einen brutal aus der Bahn.
Zu fünft fliegen sie ans Rote Meer, Eichholz, seine Lebensgefährtin und drei ihrer Freundinnen. Mal abschalten, unter Kokospalmen dösen, einfach nichts tun. In Ägypten liest er die Nachrichten, US-Schauspieler Tom Hanks hat Corona. Eichholz mag ihn, denkt, naja, blöd gelaufen. Eichholz legt den Finger auf ein Strandfoto, die Nadine erkennt er, klar, ist ja auch seine Partnerin. Bei den anderen beiden Frauen überlegt er. Plötzlich fallen ihm die Namen nicht mehr ein. Ja, sagt er, das passiert. Der Kopf ist schlecht geworden.
Er sitzt auf dem Sofa und blickt zur Wand. Schleifspuren vom Rollator. In den ersten Wochen nach der Klinik kam Eichholz nicht weit. Zimmer, Bad, Küche, zehn Minuten hat das gedauert. „Ich war ein Wrack. Ein alter Mann.“Heute läuft er schneller, aber nach 50 Metern oder zwei Stockwerken wird die Luft ziemlich knapp. Manchmal wird Eichholz nachts wach, dann liegt er eine Stunde einfach da. Oder die Pfleger erscheinen ihm im Traum. Herr Eichholz, Füße ins Bett, sagen sie. „Verglichen mit letztem Frühjahr geht’s mir bombig.“Eichholz lacht, das tut er häufig, wenigstens der Humor ist noch da.
Offiziell gilt Eichholz als genesen, aber das ist er nicht. Er leidet am Post-Covid-Syndrom, auch bekannt als Long-Covid. Das Virus ist einmal durch seinen Körper gerast und hat überall Spuren hinterlassen. Seine Lunge funktioniert nur noch zu 47 Prozent, das Gedächtnis setzt manchmal aus, der Geruchssinn war monatelang weg. Noch sind die Spätfolgen einer Corona-Infektion kaum erforscht. In Deutschland sind Tausende Menschen betroffen, Studien gehen von jedem zehnten Infizierten aus. Bei Erkrankten, die im Krankenhaus behandelt wurden, ist es mehr als jeder Zweite. Manche berichten davon, dass nach ein paar Monaten alles wieder gut war. Andere leiden bis heute. Ob die Beschwerden bei Eichholz je verschwinden, kann niemand sagen.
Am 15. März landen sie wieder in Deutschland, am 16. erlässt das Auswärtige Amt eine weltweite Reisewarnung. NRW zählt da schon insgesamt mehr als 1000 Infizierte. Eichholz wacht am Morgen im Bett auf und fühlt sich, als hätte ihn eine Dampfwalze überrollt, so sagt er das heute. Der Kopf dröhnt, keine Grippe oder Erkältung hatte ihn je so ausgeknockt. Das Fiebermessgerät misst nur 37,2 Grad Celsius. Kann ja kein Corona sein, denkt Eichholz. Er bleibt ein paar Tage zu Hause, Freunde bringen ihm Essen vorbei, er muss es nur aufwärmen. Er ist taff, will nicht zum Arzt, und als es dann schlimmer wird und plötzlich der ganze Körper schmerzt, schafft er es nicht mehr vor die Tür. Ein befreundeter Arzt kommt vorbei, sieht nach ihm. Peter, wir müssen jetzt den Krankenwagen rufen, sagt der.
Eichholz weiß nicht, wer ihn angesteckt hat. Er vermutet, es war die Reiseleiterin, die habe in Ägypten immer ein Taschentuch in der Hand gehabt, ständig lief die Nase. Im Krankenhaus, es ist der 25. März, bringen die Ärzte ihn direkt auf die Intensivstation. Sie machen noch einen Abstrich. Aber als das Ergebnis kommt, positiv, zwei Tage später, liegt Eichholz schon im Koma. Er erinnert sich nicht an viel aus den Stunden davor, er ist kaum wach, halluziniert. Einmal, sagt er, stehen die Pfleger da, oder die Ärzte, oder Tom Hanks, er weiß es nicht mehr, unter der Schutzkleidung sehen alle gleich aus. Dann kommt die Spritze. „War gutes Zeug“, sagt Eichholz. Er ist sofort weg.
Tagelang liegt er bewusstlos im Bett, manchmal schieben sie es zum Fenster, wenn die Sonne scheint. Sie blasen Luft in seine Lunge, drehen immer wieder den Körper, meistens ist er allein, aber das bekommt er sowieso nicht mit. Besuchen darf ihn niemand, nicht die Kumpels, nicht die Brüder, nicht mal die Nadine. Oft ruft sie auf der Station an und oft, so erzählt er es, hat sie Angst, was die Ärzte sagen werden. Keine Sorge, wenn was passiert, melden wir uns, sagen sie. Einmal klingelt ihr Telefon, die Klinik ist dran. Achso, es geht um die Abrechnung, da muss jetzt jemand unterschreiben.
Eichholz ist Privatpatient.
Nach zwei Wochen werden die Vitalwerte besser.
Die Ärzte holen Eichholz zurück. Es dauert einen Tag, bis er sich zu Hause melden kann. Eigentlich will er am 12. April, Ostersonntag, ein frohes Fest wünschen. In eine Whatsapp-Gruppe schreibt er: „ec“. Niemand weiß, was das bedeutet, nur: der Peter lebt.
Eichholz erinnert sich daran nicht mehr, er war noch ganz benebelt. Er träumt damals, von fernen Orten und viel Action. Plötzlich ist er selbst Tom Hanks, der konnte ja nicht mehr drehen. In Russland beendet er eine Hungersnot, in Holland setzt er mit Prinzessin Beatrix 80 Millionen Lachse in der Maas aus. Dann England, er überführt eine Ärztin, die Kinder tötet und in Südafrika schlemmt er im Restaurant, als draußen ein Auto explodiert, die Fensterscheiben platzen und sich das Glas und die Bombensplitter in seinen Körper bohren, da wacht er plötzlich auf und wo eben noch die Wunden waren sind jetzt die Maschinen angeschlossen. „Wilde Sache“, sagt Eichholz. Viele Koma-Patienten haben in den Tagen danach Albträume und Wahnvorstellungen.
Zuhause wollte Eichholz eine Reha machen. Doch die Kliniken nahmen im Lockdown kaum Patienten auf, die Wartelisten waren lang. Heute, sagt er, wäre ihm ein Platz fast peinlich. „Mir geht es besser, da sind doch andere schlimmer dran.“Vor Kurzem hat Eichholz eine Selbsthilfegruppe kontaktiert.
Es ist spät geworden. Eichholz stellt das Foto seiner Freunde zurück ins Regal. „Hier“, sagt er und zeigt auf eine blau-weiße Karte, „die haben sie mir auch geschenkt“. Es ist eine Dauerkarte des MSV Duisburg. Wenn alles wieder gut ist, sagt Eichholz, bei ihm und da draußen bei der Welt, an den ersten Tagen nach Corona, da will er mit den Jungs wieder ins Stadion. „Gesundheit. Glück. Bier.“So wie es auf dem Foto steht. Und das machen sie dann auch. Das wird ihr Tag.
Mit unwahrscheinlichen Dingen ist es oft so: Kommen sie doch, werfen sie einen brutal
aus der Bahn