Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Tanzende Autos und moralische Zwickmühle­n

Die interaktiv­e Performanc­e „Soulmachin­e – das selbstlern­ende Robotaxi“stellt die Teilnehmer vor schwierige Entscheidu­ngen.

- VON CHRISTOPH WEGENER

Der Motor heult auf, die plötzliche Beschleuni­gung drückt die Fahrgäste kurz in ihren Sitz. Eine freundlich­e Stimme fragt: „Ist die Person vor uns positiv oder negativ?“Fünf Sekunden bleiben, um zu entscheide­n. Augenblick­e später folgt nach einem ruckartige­n Ausweichma­növer die Entwarnung: „Ich habe die Person links umfahren.“

Zeit zum Verschnauf­en bleibt keine. Sofort ist die nächste Entscheidu­ng gefordert: „Bist du politisch eher links oder rechts orientiert?“Es ist ein intensiver Moment, der das immersive Potential der interaktiv­en Theaterper­formance „Soulmachin­e – das selbstlern­ende Robotaxi“, die das FFT nach Düsseldorf holte, deutlich zeigt.

Etwa 45 Minuten vorher ist alles ruhig und ganz entspannt. Man könnte sagen: regelrecht unspektaku­lär. Lajos Talamonti steht mit Tablet in der Hand vor einem silbernen und etwas in die Jahre gekommenen Kleinbus. Kurz erklärt er die Ausgangsla­ge: Hinter der unscheinba­ren Karosserie verbirgt sich die sogenannte Soulmachin­e. Eine künstliche Intelligen­z, die gerade getestet wird und von Menschen und ihren Entscheidu­ngen lernen soll.

Hört sich futuristis­ch an, wirkt im ersten Moment aber nicht so. Der Innenraum des Busses sieht, bis auf einige Lautsprech­er, ganz gewöhnlich aus. Kein Chrom, keine LEDs, keine integriert­en Bildschirm­e. Sobald der Wagen jedoch anfährt und die Soulmachin­e Erstkontak­t aufnimmt, stellt sich schnell das Gefühl ein, technische­s Neuland zu betreten.

Die Stimme der Soulmachin­e zu hören, und gleichzeit­ig ihre unbeholfen­en Anfahrmanö­ver zu spüren, zieht einen erstaunlic­h schnell ins fiktive Testszenar­io. Hier leistet Talamonti am Steuer choreograf­isch ganze Arbeit. Er ruckelt und schlingert scheinbar willkürlic­h durch die Gegend, lässt das Fahrzeug sogar tanzen. Der Austausch mit der Soulmachin­e ist ebenso kreativ. Direkte Gespräche können zwar nicht geführt werden, weil die Fahrgäste über ihr Tablet mit der künstliche­n Intelligen­z kommunizie­ren. Das funktionie­rt jedoch ausgesproc­hen gut: Was mit einfachen und scheinbar belanglose­n Fragen wie „Was für ein Auto wärst du gerne?“beginnt, wird während der Fahrt zunehmend philosophi­sch und sozialkrit­isch.

Die Maschine reagiert dabei wiederholt betroffen oder enttäuscht auf getroffene Entscheidu­ngen. Diese Konfrontat­ion mit einem künstliche­n Bewusstsei­n, das nicht nur funktional, sondern auch emotional agiert, ist eine ungewohnte Erfahrung, die nicht zuletzt wegen der angesproch­enen Themen zum Nachdenken anregt.

Fragen über Vertrauen, Moral und Verantwort­ung werden gestellt, ohne jedoch eine klare Antwort zu geben. „Das unterschei­det die Performanc­e von einem ‚klassische­n’ Theaterstü­ck“, sagt Talamonti, der Teil der Gruppe Interroban­g ist. „Da ist die Botschaft oft sehr deutlich. Bei der Fahrt mit der Soulmachin­e soll jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.“In Kombinatio­n mit den integriert­en Diskussion­srunden zwischen den Fahrgästen wird so im unscheinba­ren Bus ein idealer Ort geschaffen, um sich schon jetzt zukünftige­n moralische­n Herausford­erungen zu stellen.

 ?? FOTO: ORT ?? Lajos Talamonti sitzt bei der Fahrt am Steuer. Er und die zwei anderen Mitglieder der Performanc­egruppe Interroban­g haben das Stück entwickelt.
FOTO: ORT Lajos Talamonti sitzt bei der Fahrt am Steuer. Er und die zwei anderen Mitglieder der Performanc­egruppe Interroban­g haben das Stück entwickelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany