Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Wer ist die Nummer zwei?
Das DFB-Pokalfinale in Berlin zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig ist auch eine Standortbestimmung für den deutschen Fußball. Es geht um die Rolle der Kraft hinter dem FC Bayern München.
Pferdekuss. Das klingt so wunderbar harmlos – nach unschuldigem Kicken auf holprigen Wiesen, naturverbunden und fern des wissenschaftlichen Fußballs mit all seinen Verletzungen an Stellen, die früher niemand kannte (Syndesmose, Patellasehne, Adduktoren). Aber der Pferdekuss kann eine ganz schön langwierige Geschichte sein. In Dortmund beschäftigt er soeben eine ausgewachsene medizinische Abteilung, weil die Prellung, denn das ist ja ein Pferdekuss, ausgerechnet den besten Torschützen des BVB zwei Wochen in den Krankenstand befördert hat. Im DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig am Donnerstag in Berlin (20.45 Uhr/ARD) will Erling Haaland aber unbedingt wieder auf dem Platz stehen.
Dafür tun die Mediziner des BVB, was sie können. Und dafür legt der Stürmer Sonderschichten auf dem Trainingsgelände ein. Trainer Edin Terzic nennt die Stelle, an der es den Norweger getroffen hat, „doof“. Aber er geht davon aus, dass er den Stürmer einsetzen kann. Er sagt: „Wir haben nix dagegen, wenn er dabei ist.“
Das sieht der Dortmunder Anhang vermutlich ganz ähnlich. Er hat sich allerdings davon überzeugen können, dass die westfälische Borussia selbst ohne die Wuchtbrumme aus Skandinavien sehr erfolgreich auf Torjagd gehen kann – zuletzt sogar gegen den Finalgegner. Das 3:2 im Bundesligaspiel gegen Leipzig zeigte die Dortmunder Qualitäten im Offensivspiel, es zeigte auch die Verletzbarkeit gegen einen Gegner, der im ehemaligen Westfalenstadion nach der Pause ordentlich aufs Gaspedal drückte.
Und es zeigte die lange vermisste Hartnäckigkeit der Schwarz-Gelben, die sich nach einer 2:0-Führung auch durch den zwischenzeitlichen Leipziger Ausgleich nicht aus der Bahn werfen ließen. Das ist eine neue Erfahrung für die Dortmunder Fans. Ihre Mannschaft stemmt sich gegen Widrigkeiten. Das macht ihr Mut fürs Finale, auch wenn ihr Kapitän Marco Reus findet: „Das Bundesligaspiel hat mit dem Pokalendspiel
nullkommanull zu tun.“Das glaubt er wahrscheinlich selbst nicht. Immerhin nämlich erlaubt der späte Dreh, den die Dortmunder dem Bundesligaspiel durch Jadon Sanchos Treffer zum 3:2 gaben, dem BVB-Team, mit breitem Kreuz ins Berliner Finale zu gehen. Leipzig war erneut nicht gerade der Angstgegner für die Borussia. Seit sieben Spielen hat das RB-Team nicht mehr gegen Dortmund gewonnen. Und solche Serien setzen sich in den Köpfen der Spieler schon mal hartnäckiger fest, als es die Trainer wollen. „Wenn wir zumindest das 2:2 gehalten hätten, wäre es ein psychologischer Nachteil für Dortmund gewesen“, sagt Leipzigs Coach Julian Nagelsmann.
Natürlich will er sich mit dem ersten Titel in der kurzen Geschichte des Fußball-Ablegers im Red Bull-Konzern zu den Bayern verabschieden. Darüber hinaus wird in Berlin mal wieder geklärt, wer denn der wahre Kronprinz für den Abo-Meister in München ist. Zwar ist in der Bundesliga eher unwahrscheinlich, dass der BVB die Leipziger diesmal noch vom zweiten Platz verdrängt. Aber in der Schlussphase der Saison haben die Dortmunder zumindest Anschluss an jenen
Rang gefunden, auf den sie ein natürliches Recht zu haben glauben. Als Herausforderer der Münchner kann sich jedoch weder Dortmund noch Leipzig fühlen. Beide haben kurze bayerische Schwächeperioden nicht zum Angriff nutzen können. Am Ende setzten sich die höhere Qualität und die größere Überzeugung der Münchner wieder mal ganz sicher durch.
Deshalb geht es auf Sicht und auf jeden Fall im Pokalfinale um eine Standortbeschreibung im Verfolgerfeld der Bayern. Während sich Wolfsburg und Eintracht Frankfurt in dieser Saison vorne ebenso mal vorübergehend eingemischt haben wie vergangene Saison die Mönchengladbacher und wie häufiger schon Leverkusen, sind Dortmund und Leipzig die eigentlichen Anführer der Meisterschaft, die hinter den Seriensiegern aus München ausgetragen wird.
Zumindest vorerst wird das auch so bleiben. Und wenn die Zeichen nicht trügen, dann könnte es für Leipzig in naher Zukunft schwieriger werden, sich mit Dortmund um den zweiten Rang in Deutschland zu streiten. Der Verlust eines innovativen und sehr von sich selbst überzeugten Trainers wird schwer wiegen. Das zeigen bereits die Auftritte der Leipziger, seit Nagelsmanns Abgang feststeht. Da fehlten Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, Lockerheit und Zielstrebigkeit. So war das lange Zeit auch beim Bundesligaspiel in Dortmund.
Dort setzte sich am Ende das entschlossenere Team durch. Das nehmen die Dortmunder mit nach Berlin. Da geht es um den Pokal und den inoffiziellen Titel der zweiten Kraft im deutschen Fußball. Und deshalb hat das Bundesligaspiel deutlich mehr als „nullkommanull“(Reus) mit dem Pokalendspiel zu tun.