Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Laschet verspricht schnelle Fluthilfe
Der Ministerpräsident spricht von einer Katastrophe historischen Ausmaßes. Mehr als 100 Menschen sterben, viele werden vermisst.
Angesichts der verheerenden Hochwasserkatastrophe hat die nordrhein-westfälische Landesregierung allen Betroffenen umfangreiche Hilfen von Bund und Land zugesagt. „Ein Jahrhunderthochwasser hat unser Land getroffen“, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nach einer Sondersitzung des Landeskabinetts. Es handle sich um eine Flutwasserkatastrophe historischen Ausmaßes. Wie hoch die Hilfen ausfallen, werde in den nächsten Tagen geklärt, wenn die Wassermassen abgeflossen seien und man einen Überblick über die Schäden habe. Das Finanzministerium erklärte, ab sofort gälten Steuerstundungen und 30 weitere Steuererleichterungen für Betroffene.
Laschet sagte, die Kommunen bräuchten schnell Hilfe, um die Grundversorgung wiederherzustellen, ebenso Privatleute und Unternehmen. Kanzlerin und Bundesfinanzminister hätten bereits Bundeshilfen zugesagt. „Das wird eine große finanzielle Kraftanstrengung“, sagte Laschet. Die Reparatur der Infrastruktur sei vielerorts „eine gigantische Aufgabe, die möglichst schon über das Wochenende geleistet werden muss“. Für Brücken, Straßen und Schienen gelte: „Sicherheit vor Schnelligkeit.“Zuerst aber gehe es darum, Leben zu retten.
Allein in Nordrhein-Westfalen wurden bis Freitagnachmittag 43 Todesopfer gezählt; in Rheinland-Pfalz waren es mindestens 63. Hinzu kam eine große Zahl Vermisster – allein im Kreis Ahrweiler wurde ihre Zahl zwischenzeitlich auf 1300 geschätzt. 19.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen bewältigten nach Angaben der Landesregierung bereits 30.000 Einsätze, die Polizei weitere 3200.
Nachdem in Erftstadt Häuser und Teile einer historischen Burg unter dem Druck des Hochwassers einstürzten, ist dort mit weiteren Opfern zu rechnen. „Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht“, sagte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU). Im ebenfalls schwer betroffenen Sinzig starben zwölf Personen in einer Behinderteneinrichtung, nachdem sie von den Fluten überrascht worden waren. Reul ordnete Trauerbeflaggung bis einschließlich kommenden Montag an.
Nur leichte Entspannung gab es am Freitag bei den Talsperren, die zunächst den Wassermassen standhielten. Mehrere Ortschaften in der Nähe wurden allerdings evakuiert. Die Situation an der Rurtalsperre in der Eifel entspanne sich leicht, sagte Laschet. In der Nacht zu Freitag war das Rückhaltebecken übergelaufen. Um Trinkwasserprobleme, etwa in Witten und Eschweiler, kümmerten sich die Versorgungsunternehmen.
Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) löste nationalen Katastrophenalarm aus, auch um Entscheidungswege bei der Hilfe zu verkürzen. Rund 900 Soldaten sind bisher im Einsatz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erschüttert: „Es ist eine Tragödie, dass so viele Menschen ihr Leben verloren haben“, sagte er im Schloss Bellevue. Er habe mit Landräten und Bürgermeistern telefoniert; an diesem Samstag wird Steinmeier mit Laschet in Erftstadt erwartet. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägt einen Besuch im Katastrophengebiet.
Als Konsequenz aus der Flutkatastrophe will die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) die Schutzmaßnahmen gegen extreme Wetterereignisse im Land verstärken.
Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit vielen Qualitäten. Das vielbeschworene Wir-Gefühl zählt nicht dazu. In 75 Jahren hat das Bindestrichland kaum den Zusammenhalt erreicht, der bei der Gründung 1946 erhofft wurde. „Wir in Nordrhein-Westfalen“sind regional verwurzelt. Die Einheit des Landes wird von den Institutionen getragen, aber nur bedingt in der Bevölkerung gelebt. Kommt es aber – wie jetzt bei der Hochwasser-Katastrophe – zu einer extremen Notlage, ist eine starke Solidarität spürbar. Die umfassende Hilfsbereitschaft macht über Nacht selbst aus Fremden Freunde, die zupacken, spenden, Anteil nehmen. Das Schicksal der Betroffenen, denen das Wasser alles genommen hat, führt zu anrührenden Aktionen, initiiert nicht selten von Menschen, die dankbar sind, von den Unbilden der Natur selbst verschont geblieben zu sein.
Das Gebot der Stunde lautet Nothilfe. Darauf ist auch das Sofortprogramm der Landesregierung ausgerichtet. Die Kritik an ihrer Fluthilfe ist erwartbar: zu spät, zu wenig, zu unentschlossen. So wird – wohl unabhängig vom tatsächlichen Inhalt des Hilfsprogramms – beurteilt werden, was das Kabinett auf den Weg gebracht hat. In Zeiten des Wahlkampfs ist das häufig so. Dabei ist in diesem Moment einzig und allein entscheidend, dass schnell und unbürokratisch geholfen wird. Das fällt vor allem da schwer, wo Menschenleben zu beklagen sind und Geld allein nicht reicht, die (seelische) Not zu lindern. Denn darin liegt die Herausforderung: spürbar zu machen, dass das Leid gemeinsam getragen wird. Deshalb ist neben den stützenden staatlichen Hilfen die persönliche Wegbegleitung durch hilfsbereite Menschen wichtig.
Wer, leidgeprüft, erfährt, dass sogar Unbekannte ihm beistehen, der entwickelt selbst, was das Land gut brauchen kann: ein starkes, echtes Wir-Gefühl.