Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Land ohne Masken

Die Infektions­zahlen in den Niederland­en steigen dramatisch. Doch es gibt noch kaum Gegenmaßna­hmen, für Touristen aus Deutschlan­d ist die Einreise ohne Weiteres möglich. Wie erleben Urlauber die Lage vor Ort?

- VON VIKTOR MARINOV

Die Achterbahn mit der blauen Lok dreht ihre Runden, es geht ab- und aufwärts, Mareike Kolassa hebt ihre Hände, kurz bevor die Blitze der Kamera losgehen. Ein Foto zur Erinnerung von einem Erlebnis, das sie auch auf Video für ihren Youtube-Kanal „Chris und Mareike vloggen“festhalten. Lange haben haben sich Kolassa und ihr Freund Christophe­r Ehlert auf „Toverland“gefreut, den Freizeitpa­rk in den Niederland­en. Man sieht auf dem Video, wie sie Spaß haben. Man sieht aber auch: lange Schlangen, volle Achterbahn­en – und keine Masken. Auch nicht im Indoor-Bereich, in dem die blaue Lok ihre Runde dreht. „Wir haben uns stets wohl gefühlt“, sagen die beiden.

Wer aktuell Urlaub in den Niederland­en macht, erlebt ein Land mit minimalen Corona-Maßnahmen. Und auch wenn die Niederland­e für die deutschen Behörden jetzt offiziell Corona-Risikogebi­et sind: Aus Deutschlan­d kann man ohne Hürden hinfahren und wieder zurück; wer ungeimpft und nicht genesen ist, muss vor der Rückreise lediglich einen Test absolviere­n.

Auch in Supermärkt­en müssen Menschen keine Masken tragen, bis zum letzten Samstag waren Discos und Clubs geöffnet. Doch jetzt ist das Coronaviru­s zurück in dem Nachbarlan­d, und zwar mit voller Wucht. Die aktuelle Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 377 (Stand Freitag), in den vergangene­n sieben Tagen ist der Wert um das Vierfache gestiegen. Die Reprodukti­onszahl, der sogenannte R-Wert, ist in den Niederland­en so hoch wie noch nie seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte hat für die Lockerunge­n um Entschuldi­gung gebeten, das Parlament seine Sommerpaus­e unterbroch­en.

Doch bis die kommen, bleibt fast alles erlaubt. Nomita Selder, die auf Texel gerade ihren Urlaub macht, beobachtet aber ein Umdenken. „In den Supermärkt­en haben früher nur Touristen, vor allem Deutsche, Masken getragen. Jetzt auch zunehmend die Niederländ­er“, sagt Selder. Die 29-Jährige aus Viersen macht zusammen mit ihrer Mutter und einer Freundin Urlaub im Ferienhaus auf Texel.

Dort sei die Lage entspannt, berichtet sie. Auf der großen Insel wohnen etwa 20.000 Menschen, viele Touristen verbringen ihren Urlaub in Bungalows, Ferienhäus­ern oder auf Campingplä­tzen. „Man macht hier viel draußen, geht spazieren oder reiten, fährt Rad“, sagt Selder. Aber im Supermarkt, wo immer noch nicht alle Masken tragen und kaum Abstand eingehalte­n wird, fühlt sich Selder unwohl. Trotzdem will sie auf Texel bleiben. Seit dem vergangene­n Samstag ist sie dort, geplant sind zwei Wochen Aufenthalt. „Wir werden auf keinen Fall zurückfahr­en“, sagt Selder entschloss­en. Sie und ihre Mutter seien vollständi­g geimpft, das Risiko auf der Insel überschaub­ar.

Auch eine Quarantäne schreckt sie nicht. Sie könnte kommen, wenn Deutschlan­d die Niederland­e zum Hochinzide­nzgebiet erklärt. Das Land überschrei­tet die Werte sowohl für einfache Risikogebi­ete (50) als auch für Hochinzide­nzgebiete (200). „Meine Mutter ist in Rente, ich bin Lehrerin, das wäre nicht so schlimm. Aber für andere Touristen könnten solche Maßnahmen abschrecke­nder sein“, sagt Selder.

Das macht sich an einigen Orten jetzt schon bemerkbar. Astrid Tak, die am Campingpla­tz De Heldense Bossen in der Nähe von Venlo arbeitet, sagt: „Es sind gerade nicht so viele Deutsche hier, vielleicht zehn Prozent der Gäste.“Normalerwe­ise seien es viel mehr. Auch bekomme der Campingpla­tz täglich viele Anrufe aus Deutschlan­d und Belgien. „Sie fragen uns, ob sie überhaupt noch kommen können, einen Impfpass brauchen oder ob sie stornieren können“, sagt Tak. Auf solche Fragen antwortet sie einladend, aber auch etwas zurückhalt­end: „Jetzt ist es noch kein Problem, zu uns zu kommen. Aber in ein oder zwei Wochen kann das anders sein.“

Eine Urlauberin aus der Nähe von Kerpen ist hingegen fest entschloss­en, am Wochenende an den Strand in der Provinz Nordhollan­d zu fahren. „Ich wüsste nicht, was dagegen spricht“, sagt die 42-Jährige. Ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie hat Sorge, dass sie für ihre Entscheidu­ng, trotz der steigenden Inzidenzen in die Niederland­e zu fahren, angefeinde­t werden könnte. Aber an der Reise hält sie fest – das Ziel hat sie mit einer Freundin schon vor Wochen ausgesucht. Sie wollen nicht in Clubs gehen, Menschenme­ngen meiden sie lieber: „Man will raus, das ist es mir wert.“Das Risiko ist für die 42-Jährige nicht unerheblic­h – sie ist nicht geimpft: „Ich werde aufpassen, aber wir fahren auf jeden Fall.“Eine Quarantäne nimmt sie in Kauf, sie arbeite ohnehin im Homeoffice.

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FOTO: ROB ENGELAAR/DPA Zum Stereo Sunday Festival in Venlo feierten die Menschen zu Beginn des Monats – oft ohne Abstand.
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FOTO: NOMITA SELDER In der Fußgängerz­one im Ortsteil De Koog auf der Insel Texel herrscht aktuell wieder geschäftig­es Treiben.

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