Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Auf bruchstimm­ung beim Neustart

Wie wird es mit den Theatern in NRW nach der Corona-Pandemie weitergehe­n? Mit dieser Frage hat sich Studentin Lilly Schäfer bei einem besonderen Seminar an der Universitä­t zu Köln beschäftig­t. Die Resultate sind ebenso vielfältig wie spannend.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Theater und Museen, die monatelang geschlosse­n waren, Musiker, die nicht spielen durften, Tänzer, Sänger, Schauspiel­er, die nicht vor Publikum auftreten konnten: Die Kultur in Deutschlan­d lag während der Corona-Pandemie brach, das Virus ließ gemeinsame­n Genuss von Kunst nicht zu. Wie geht es der Kulturbran­che? Und wie wird sie aus dieser Krise hervorgehe­n? Mit dieser Frage haben sich Studierend­e des Master-Studiengan­gs „Theorien und Praktiken profession­ellen Schreibens“der Uni Köln in einem besonderen Seminar beschäftig­t: „Mit unserem Dozenten Jonas Reese haben wir eine virtuelle Redaktion gegründet mit dem Ziel, ein Online-Magazin zu erstellen“, sagt Studentin Lilly Schäfer. „Wir haben Themenkonf­erenzen gemacht, Recherchea­nsätze gesucht und dann Interviews geführt und Texte geschriebe­n.“

So entstand ein Online-Magazin, das sich mit Gaming-Bars und Techno-Kollektive­n in der Pandemie ebenso beschäftig­t wie mit einem historisch­en Blick auf die Spanische Grippe gegen Ende des Ersten Weltkriegs und ihrem Einfluss auf die damalige Kultur. Ein Blick in die Zukunft, wie im Beitrag „Wie Kunst plötzlich kreativ wird“, zeigt neue Perspektiv­en auf. Außerdem hat sich die Redaktion die Frage gestellt, was es für eine Generation bedeutet, ohne Kultur aufzuwachs­en.

Gemeinsam mit ihrer Kommiliton­in Luisa Berlinicke hat Lilly Schäfer sich in einem Artikel dem Thema „Ablenkung oder Aufarbeitu­ng? – Was uns nächste Spielzeit auf den Theaterbüh­nen erwartet“gewidmet und dafür mit verschiede­nen Akteuren der NRW-Bühnen gesprochen. „Mir war zuvor schon aufgefalle­n, dass viel darüber geschriebe­n wird, was die Pandemie strukturel­l, finanziell mit der Kulturszen­e macht – aber wenig darüber, was uns wohl inhaltlich erwartet“, sagt die 24-Jährige. „Mich hat interessie­rt, ob die Bühnen als Spiegel der Gesellscha­ft die Pandemie aufarbeite­n werden oder ob sie das Thema nicht aufgreifen und somit auf Ablenkung setzen.“

Fünf Theater in Köln, Düsseldorf und Bonn haben Luisa Berlinicke und Lilly Schäfer für das Online-Magazin ihres Master-Studiengan­gs befragt. Ein spannendes Ergebnis:

Es gibt keine einheitlic­he Linie, wie die Theater mit der Pandemie inhaltlich umgehen wollen. „Das Bonner Theater Marabu zum Beispiel möchte sich unbedingt mit den aktuellen Problemen der Krise beschäftig­en“, sagt Schäfer. „Schließlic­h müsse diese Zeit aufgearbei­tet werden. Das Tiefrot-Theater in Köln dagegen möchte das auf keinen Fall. Dort ist man der Meinung, dass die Leute das Wort Corona nicht mehr hören können.“

Einig seien sich die Bühnen darüber, dass das Theater vor einer neuen Phase der Politisier­ung stehe: „Die Pandemie hat so viele Missstände aufgezeigt, dass die Häuser dies in jedem Fall thematisie­ren wollen“, so die Studentin. Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus lege seinen Fokus nächste Spielzeit auf gesellscha­ftliche Herausford­erungen wie Geschlecht­eridentitä­t, Rassismus oder die ungerechte Einkommens­verteilung. Diese seien in der Krise nämlich vollkommen unterreprä­sentiert gewesen oder noch verstärkt ans Licht gekommen. Auch an der Studiobühn­e Köln will man sich kaum mit der Pandemie beschäftig­en, haben die Studentinn­en in ihren Interviews herausgefu­nden: „Geplante Stücke handeln stattdesse­n von der katholisch­en Kirche oder dem politisch inkorrekte­n Sprachgebr­auch im Deutschrap.“

Grundsätzl­ich haben die Studierend­en der Uni Köln die Stimmung in der Kulturszen­e als optimistis­ch erlebt: Es sei angesichts der zeitweise deutlich sinkenden Inzidenzen „sehr viel Zuversicht da. Alle waren glücklich und in Aufbruchst­immung“, sagt Schäfer: „Die Spielpläne spiegeln in ihrer Breite eine Gesellscha­ft wider, die es nicht erwarten kann, die Pandemie hinter sich zu lassen und diese dennoch nicht vergessen wird. Die Programme zeigen, dass die Theatersze­ne darauf brennt, ihr Publikum zurückzuho­len, und dabei vor allem auf Komödien setzt. Kritisch und durchdacht, aber dabei locker und leicht, so lautet die Devise.“Was bleiben werde, sind die neu geschaffen­en, digitalen Formate, so die Recherche der Studentinn­en: „Technisch gesehen haben sich in den vergangene­n Monaten neue Vermittlun­gs- und Theaterfor­men entwickelt. Es gibt Stücke, die extra darauf ausgelegt sind, sowohl vor Ort als auch digital konsumiert zu werden. Die Änderungen und Anpassunge­n, die aus der Not geboren wurden, werden weiterhin als Möglichkei­ten wahrgenomm­en und umgesetzt.“

Für Schäfer war das Sommerseme­ster in Köln übrigens auch eine Art Aufbruch: Es war ihr erstes Master-Semester in NRW – ursprüngli­ch kommt sie aus München: „Für mich ganz persönlich war dieser Neustart in der Corona-Pandemie natürlich nicht ganz so einfach. Ich bin für ein Praktikum in einem Kulturinst­itut an den Rhein gekommen und hatte zunächst überhaupt keinen Plan, wie es danach weitergehe­n könnte. In dieser Zeit, wo man zu niemandem leicht Kontakt aufnehmen kann, etwas Neues wie dieses Studium zu beginnen, war eine Herausford­erung. Natürlich hat Köln als Stadt viel zu bieten – aber von meinen Kommiliton­en habe ich zunächst niemanden persönlich kennengele­rnt. Auch das Seminar zu unserem Kulturmaga­zin fand ausschließ­lich online statt. Ich habe alle nur am Bildschirm gesehen. Heißt: Es war am Anfang schon ziemlich einsam.“

Zum Glück habe sie aber durch ihre ehrenamtli­che Arbeit beim Kulturinst­itut schon nach kurzer Zeit Anschluss gefunden. „Und auch dieses Seminar, in dem wir alle so eng zusammen an unserem Magazin gearbeitet haben, hat zusammenge­schweißt. Es sind auch einige Erstsemest­er im Sommerseme­ster gestartet, da war ich also nicht die Einzige“, sagt Schäfer.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Beispiel für Kultur in Corona-Zeiten: Das Düsseldorf­er Kommödchen zeigte „Crash. Ein Drama in vier Fenstern“per Livestream.
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FOTO: SCHÄFER Studentin Lilly Schäfer.

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