Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Vorauswahl trifft der Computer

Bekomme ich den Job oder nicht? Das Bewerbungs­verfahren ist ein folgenreic­her Prozess. In Zukunft könnte daran auch künstliche Intelligen­z beteiligt sein. Was das für meine Bewerbung bedeutet.

- VON SOPHIA REDDIG

Benutzen Sie Google? Dann sind Sie bereits mit KI in Berührung gekommen. Die Abkürzung steht für „Künstliche Intelligen­z“und beschreibt Programme und Maschinen, die dazulernen und immer besser werden, wenn sie mit Daten gefüttert werden. Im Fall von Google sammelt die KI Daten und passt dadurch die Suchergebn­isse mit der Zeit an die Nutzer und ihre Anfragen an.

Künstliche Intelligen­z kann aber auch in vielen anderen Bereichen eingesetzt werden. Ein Beispiel sind Bewerbungs­verfahren. So gibt es etwa Software, die Fragen für Bewerbungs­gespräche entwickelt, damit diese am Ende besser vergleichb­ar sind. Auch kann KI Videos von Bewerbern analysiere­n und darauf basierend Persönlich­keitsprofi­le erstellen.

In den USA kommt diese Technik schon zum Einsatz, in Deutschlan­d ist sie umstritten. Menschen hierzuland­e sind ohnehin sehr zurückhalt­end, wenn es um künstliche Intelligen­z in der Bewerbung geht. Laut einer repräsenta­tiven Umfrage, die YouGov im Auftrag des Portals Indeed durchgefüh­rt hat, lehnen 43 Prozent KI in Bewerbungs­prozessen ab. Gut ein Drittel (32 Prozent) der über 2000 Befragten glaubt auch nicht, dass zum Beispiel mehr Transparen­z oder gute Erfahrunge­n sie offener für diese neue Technik machen würde. „Deutschlan­d hinkt bei diesem Thema hinterher“, sagt der Recruiting-Experte und Fachbuchau­tor Tim Verhoeven. „Wir sind dann kritischer, wenn etwas verändert werden soll.“

Eine gut gemachte und sinnvoll eingesetzt­e KI könne aber im Bewerbungs­prozess viele Vorteile haben. Wenn sie etwa die Termine für eine Personalfa­chkraft koordinier­t oder formale Anforderun­gen in den Unterlagen prüft, beschleuni­gt das den Prozess. „Dann haben Recruiter mehr Zeit, um sich wirklich mit den Kandidaten zu beschäftig­en und diese für das Unternehme­n zu begeistern.“

Zeiterspar­nis ist nicht der einzige Grund, warum KI im Recruiting zum Einsatz kommen soll. Könnte ein Algorithmu­s einen Bewerbungs­prozess auch fairer machen? In Studien konnte immer wieder nachgewies­en werden, dass Personalfa­chkräfte nicht zu 100 Prozent vorurteils­frei entscheide­n. So bevorzugen Menschen zum Beispiel Bewerber, die ihnen ähnlich sind.

Formen der Diskrimini­erung sollen durch den Einsatz von künstliche­r Intelligen­z ausgeschal­tet werden, so ein naheliegen­der Gedanke. In der Praxis funktionie­rt das bisher nicht wie gewünscht. „Es gab Fallbeispi­ele, bei denen Frauen von KI systematis­ch benachteil­igt worden sind“, sagt Verhoeven. „Das lag an den Datensätze­n, die die KI bekommen hat.“

Hintergrun­d: Wenn in einem Unternehme­n in der Vergangenh­eit viel mehr Männer eingestell­t worden sind, lernt die KI auf Basis der bisherigen Bewerberda­ten, dass Männlichke­it ein Merkmal für Erfolg und Kompetenz sein soll. Dann werden Männer gegenüber Frauen bevorzugt.

Solche Fehlschlüs­se sollen sich bei einer KI jedoch einfacher verhindern lassen als beim Menschen. „Wenn eine künstliche Intelligen­z richtig programmie­rt wird, kann sie dadurch sogar für mehr Fairness und Diversität sorgen“, sagt Marlene Pöhlmann, Leiterin

„Wenn eine künstliche Intelligen­z richtig programmie­rt wird, kann sie für mehr Fairness und Diversität sorgen.“

des Berliner Büros des Personalve­rmittlers Robert Half. Das Unternehme­n setzt selbst künstliche Intelligen­z ein. „Vor allem in den USA nutzen wir KI, um Bewerber auf offene Stellen aufmerksam zu machen, die auch zu ihnen passen könnten“, berichtet Pöhlmann.

In Deutschlan­d kommt KI im Bewerbungs­prozess derzeit kaum vor. 2020 ergab eine Umfrage des Branchenve­rbands Bitkom unter rund 600 Unternehme­n, dass nur sechs Prozent bereits KI einsetzen – und von den Unternehme­n, die bereits KI nutzten, gaben nur zwei Prozent an, sie auch

Marlene Pöhlmann Personalve­rmittlerin

für die Vorauswahl von Bewerbern zu nutzen.

Die Wahrschein­lichkeit, dass eine KI die eigene Bewerbung vor dem Personaler „sieht“, ist also relativ gering. Und Personalfa­chkräfte werden ihre Entscheidu­ngsmacht vorerst wohl nicht komplett aus der Hand geben. Verhoeven etwa sieht KI „momentan eher als Navigation­sgerät zur Unterstütz­ung von Personaler­n und nicht als Autopilote­n“.

Werden aber eingereich­te Unterlagen oder Lebensläuf­e in einem Unternehme­n automatisi­ert eingelesen und analysiert, müssen Format und Formalien stimmen, sonst fallen sie unter Umständen durch das Raster der KI. „Was man machen kann, ist seine Unterlagen als PDF einzuschic­ken und ohne Rechtschre­ibfehler, dann sind sie für eine KI leichter lesbar – aber das ist ja sowieso meist Standard“, sagt Verhoeven.

Vor einigen Monaten hat außerdem das Deutsche Institut für Normung (DIN) Standards für den Umgang mit KI in der videobasie­rten Personalau­swahl gesetzt. Sie soll als Leitfaden für Unternehme­n dienen, die KI-Prozesse in Bewerbunge­n einsetzen oder entwickeln. Die DIN SPEC 91426 fordert unter anderem Transparen­z von Unternehme­n und die Sicherstel­lung von diskrimini­erungsfrei­em Einsatz.

Es wird sicher nicht die einzige Regulierun­g für KI in Bewerbungs­prozessen bleiben. „Ich glaube, dass der Einsatz von KI viel transparen­ter werden muss, damit er eine Chance hat, akzeptiert zu werden“, sagt Verhoeven.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN Bei der Bewerberau­swahl könnten HR-Fachleute künftig stärker von smarter Technik unterstütz­t werden.

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