Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Schäden in Millionenh­öhe

Eine Woche nach dem verheerend­en Hochwasser wird vielen Burgern immer bewusster, was die Fluten von Wupper und Eschbach ihnen genommen haben. Zahlreiche Anträge auf Soforthilf­e wurden vor Ort bereits gestellt.

- VON FRED LOTHAR MELCHIOR

Eine Woche nach dem verheerend­en Hochwasser wird vielen Burgern immer bewusster, was die Fluten ihnen genommen haben.

Bittere Ironie: Das Plakat in einem der am stärksten zerstörten Häuser in Unterburg erinnert an die Band „Ton Steine Scherben“. Was an der gegenüberl­iegenden Seite des Gewölbekel­lers hing, ist verschwund­en – wie die Wand selbst, die von den Fluten des Eschbachs mitgerisse­n wurde. Schlamm, Steine, Scherben: Auch eine Woche nach dem Jahrhunder­t-Hochwasser kämpfen die Burger gegen die Folgen des Hochwasser­s – und es wird immer klarer, welche immensen Werte die Flut vernichtet hat.

Seit Anfang der Woche beraten Mitarbeite­r der Stadt und der Stadt-Sparkasse auf dem Parkplatz an der Seilbahn. Ab Donnerstag wird der Bauwagen der Verwaltung dann in Rüden stehen. „Am Montag wollten zehn Burger ihren Antrag auf finanziell­e Soforthilf­e schon um halb zehn stellen, noch bevor wir geöffnet hatten“, erzählt Evelyn Wurm, Leiterin der Stabsstell­e Bürgerbete­iligung. „Viele haben geweint, weil sie ihren kompletten Hausstand verloren haben.“Am Nachmittag waren schon 50 Anträge zusammenge­kommen. Am Mittwoch sollen erste Entscheidu­ngen fallen, wer jeweils bis zu 3.000 Euro Soforthilf­e erhält.

Es ist, vielleicht der falsche Ausdruck bei einer Flutkatast­rophe, ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenige hundert Meter von der Seilbahn-Station entfernt liegt das Haus der Familie Bevacqua. Viel dichter als sie und ihre Verwandten kann man kaum an der Wupper wohnen – in einem Gebäude, in dem früher Mitarbeite­r der Feilenfabr­ik lebten („Alte Spinnerei“). Die dicken Backsteinm­auern haben standgehal­ten, als die Wupper auf viereinhal­b Meter Höhe anschwoll. Aber die Parterrerä­ume wurden komplett überflutet, sogar Heizkörper von der Wand gerissen. Auch die Elektroins­tallation muss wohl erneuert werden.

Seit 1965 wohnen die Bevacquas an der Hasencleve­rstraße. „Ein derartiges Hochwasser hatten wir aber noch nie. Es ist eine Katastroph­e, alles musste weggeschmi­ssen werden“, klagt Maria Teresa Bevacqua. „Dabei haben wir im vergangene­n Jahr alles renoviert. Ich habe neue Möbel gekauft.“Von der Versicheru­ng wird wohl keine Hilfe kommen: „Ich fühle mich so alleingela­ssen“. Familienmi­tglieder schlagen den nassen Putz von den Wänden und überlegen, was es kostet, vier Wochen oder länger einen Bautrockne­r laufen zu lassen.

Dabei wäre zum materielle­n Schaden beinahe noch ein viel größeres Unglück gekommen: Der querschnit­tgelähmte Ehemann von Teresa Bevacqua konnte nur unter großen Mühen aus dem Haus geholt werden. „Es ist ein Alptraum. Seit Mittwoch schlafe ich keine Nacht. Wäre mein Schwiegers­ohn nicht da gewesen, wäre mein Mann ertrunken.“Die Feuerwehr habe falsch entschiede­n, sagt der Schwiegers­ohn.

Aber es gibt auch großen Dank an die zahlreiche­n Helfer, die in Burg im Einsatz sind – von den Technische­n Betrieben, die kontinuier­lich Sperrmüll abfahren, bis zu den Mitarbeite­rn des Caritasver­bands, die unter anderem Essen und Hygieneart­ikel bereitstel­len. „Wir haben das Gefühl, dass die Burger die Hilfe sehr gerne annehmen“, berichtet Gabriele Kirchner von der Caritas.

Frank Schindler, Besitzer der denkmalges­chützten Seniorenwo­hnanlage Burgreside­nz, lobt die „tolle Gemeinscha­ft“der Unterburge­r, für die er großen Respekt empfindet – und kann im nächsten Moment zwei junge Männer mit Schaufeln begrüßen, die anpacken wollen. „Das große Thema ist, wie man alles finanziert bekommt“, blickt Schindler voraus. Für die Sanierung des Brezelbäck­erhauses, der Tagespfleg­eeinrichtu­ng Burger Hof und des Büdchens rechnet er mit hohen Kosten: „Da sind wir schnell bei 500.000 Euro.“

Einerseits, so Schindler, sei es „ein Trauerspie­l, wie Versicheru­ngen sich wegducken“. Anderersei­ts sei das Kreditange­bot der Stadt-Sparkasse für Flutopfer „sehr ordentlich“. Sie stellt zinslos 3.000 bis 50.000 Euro pro Haushalt zur Verfügung, die in maximal acht Jahren zurückgeza­hlt werden müssen. Sparkassen-Mitarbeite­rin Susanne Blum nahm am Bauwagen der Stadt bereits in der ersten Stunde zahlreiche Anträge entgegen. Sie verspricht eine „relativ schlanke Abwicklung.“

Geld wird auch Harald Klemm-Bormann in die Hand nehmen müssen. Wie viel von der Versicheru­ng kommt, wird sich zeigen: Der Gutachter hat sich für Mittwoch angesagt. Klemm-Bormann kaufte im vorigen Jahr das Pastoratsh­aus, das unterhalb der evangelisc­hen Kirche an der Müngstener Straße steht. Nach der Renovierun­g wollte der Künstler aus Köln es in diesem Dezember beziehen. „Wir waren froh.“Dann kam das Hochwasser. Die frisch gegossenen Estrichböd­en im Haus sind gebrochen. Die zur Wupperseit­e im Fachwerkst­il neu angebaute Garage wurde vom Fundament gehoben, der Gastank aus der Verankerun­g gerissen.

Zum Glück war das Haus noch nicht möbliert – und es gab Hilfe von mehreren Seiten. „Die Unterstütz­ung durch städtische Mitarbeite­r, die ich angesproch­en habe, war beeindruck­end“, bedankt sich der Neu-Burger. Das THW pumpte den Keller leer, die TBS saugten den Rest ab und kamen auch mit einem Radlader. „800 Tonnen haben wir locker in den ersten Tagen weggefahre­n“, erklärt Krisenmana­ger Alexander Herpich.

In der Kirche selbst packen seit Tagen viele freiwillig­e Helfer an. In dem denkmalges­chützten Gebäude stand das Wasser so hoch, dass alle Bänke überflutet waren. „Es kam so schnell“, sagt Almuth Conrad. Die Pfarrerin aus Wermelskir­chen ist seit 2009 für den Bezirk Burg-Hünger zuständig. Am Wochenanfa­ng dokumentie­rte sie mit dem Fotoappara­t die Schäden im Kirchensch­iff: „Das Wasser hat einen ganzen Block von Kirchenbän­ken verschoben.“

Kräftige Hände aus Wermelskir­chen und Burg packten an, um die anderen Bänke aus ihren Verankerun­gen zu lösen. Sie standen auf Balken, die auf dem nackten Erdreich ruhten. Nur in den Gängen

liegen Steinplatt­en. Reste von modrigem Holz bedecken noch den Boden, während sich der Geruch von Heizöl langsam verflüchti­gt. „Man sieht, wie verrottet alles ist. Wenn uns keiner bei der Finanzieru­ng hilft, machen wir die Kirche zu“, prophezeit die Pfarrerin. Eine Versicheru­ng gegen Elementars­chäden gebe es nicht.

Die Assekuranz ist ohnehin nicht der Weisheit letzter Schluss. In Risikogebi­eten sind die Policen teuer – wenn sie überhaupt angeboten werden. Für Frank Schindler von der Burgreside­nz ist deshalb klar: „Man muss sich noch mehr Gedanken um das Hochwasser­konzept machen“.

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FOTOS: MELCHIOR Seit vielen Tagen räumen viele freiwillig­e Helfer in der evangelisc­hen Kirche auf, wo das Hochwasser einen ganzen Block von Bankreihen verschoben hat. Eine Versicheru­ng gegen Elementars­chäden gibt es nicht.
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Pastoratsh­aus in Unterburg gekauft und wollte im Dezember einziehen. Glück im Unglück: Es war noch nicht
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Harald Klemm-Bormann hatte das Pastoratsh­aus in Unterburg gekauft und wollte im Dezember einziehen. Glück im Unglück: Es war noch nicht möbliert.

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