Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ein Dorf steht zusammen

Mayschoß im Ahrtal war tagelang von der Außenwelt abgeschnit­ten. Einige haben fast alles verloren – doch Freunde und Nachbarn stehen ihnen bei.

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Doch dringend benötigte Sachen wie Geräte zum Aufräumen, Lebensmitt­el, Kleidung und Hygieneart­ikel kommen nur sehr langsam bei den Betroffene­n an – wenn überhaupt. Denn nur ein schmaler Schotterwe­g führt jetzt noch nach Mayschoß, mehr ein Pfad als eine Straße, Kolonnen schwerer Bundeswehr­fahrzeuge

und Lastwagen mühen sich unentwegt den kilometerl­angen Weg durch Wälder und Weinberge entlang ins Dorf. Sie bringen alles, was die Menschen jetzt dringend benötigen. Auf der matschigen Piste, die zur Lebensader des Örtchens geworden ist, gilt wegen der Enge eine Einbahnstr­aßenregelu­ng:

Fahrzeuge können nur zur vollen Stunde in den Ort fahren, und wieder raus geht es zu jeder halben Stunde. Bis Samstag soll der Pfad geteert sein, denn dann drohen neue Regenfälle, und der einzige Zugang nach Mayschoß könnte dann versperrt werden.

Christoph Sebastian wohnt ein paar Häuser neben den Schützes. Die Ahr fließt direkt vor seinem Haus entlang. Die Wassermass­en treffen es am Mittwoch mit voller Wucht; er selbst ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause, nur seine 80-jährige Mutter. Sebastian kämpft sich bis zum Haus durch, wird dabei sogar einige Meter von der Flut mitgerisse­n. Das Wasser steigt schnell. Als er endlich sein Elternhaus erreicht, kann er sich mit seiner Mutter gerade noch in die zweite Etage retten. „Wir konnten nur noch hoffen, dass das Wasser aufhört zu steigen“, sagt er. Und das tat es dann.

Ihm ist so gut wie nichts geblieben. „Wir haben keinen Strom, kein Wasser, kein Garnichts“, sagt Sebastian, „selbst die Unterhose, die ich trage, habe ich mir geliehen.“Ein Anhänger mit einem Güllefass liegt auf dem Garagendac­h; die Flut hat es dorthin gespült. Vor und neben dem Haus liegen Autos auf dem Dach. Im Haus selbst ist fast alles zerstört. „Nur drei Prozent der Sachen kann ich vielleicht noch gebrauchen“, sagt er. Viele, zum Teil jahrhunder­tealte Familiener­bstücke sind für immer verloren. Der 52-Jährige steht vor einem Schränkche­n aus dem Jahr 1818, das schon seinen Urururgroß­eltern gehört hat. Das Wasser hat dem Holz schwer zugesetzt – schwer zu sagen, ob es sich restaurier­en lässt. „Das tut schon weh“, sagt er: „Das Wasser ist brutal.“

Sebastian schöpft mit einer Schaufel Schlamm aus dem Haus seiner Mutter. Ein Freund und dessen Frau sind gekommen, um ihm dabei zu helfen. Im Haus nebenan sind gerade zehn Helfer dabei, Unrat auf die Straße zu bringen. Überall in Mayschoß das gleiche Bild: Menschen, die anderen Menschen helfen, die in der Stunde der größten Not zusammenst­ehen. „Die Hilfsberei­tschaft ist sehr groß“, lobt Sebastian. Und wo die Einheimisc­hen nicht selbst helfen können, greifen die Soldaten der Bundeswehr ein.

Auch Waltraud Schütze wird geholfen. Sie versucht nun zuallerers­t, das Haus zu retten, in dem sie und ihr Mann leben. „Auch das Elternhaus meines Mannes wollen wir gerne wieder instandset­zen. Aber ich weiß nicht, ob unsere Kräfte dafür reichen“, sagt sie: „Mein Mann hängt sehr daran. Darum versuche ich auch, so viel wie möglich zu retten, wie die handgeschn­itzten Schützen, die das Haus zieren“, sagt sie.

Ihr Nachbar Christoph Sebastian schätzt, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis das Haus wieder halbwegs bewohnbar sein wird. Passieren darf dann aber nichts mehr. Mit Sorge blickt er auf das bevorstehe­nde Wochenende. Es sind wieder schwere Unwetter im Westen Deutschlan­ds vorausgesa­gt. „Wenn es gut läuft, spült der Regen den Schlamm hier weg“, sagt er. Was ist, wenn es schlecht läuft, möchte er sich nicht ausmalen.

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 ??  ?? Waltraud Schütze hat ihr Heim verloren.
Waltraud Schütze hat ihr Heim verloren.
 ??  ?? Christoph Sebastian schaufelt den Schlamm aus dem Haus seiner Mutter.
Christoph Sebastian schaufelt den Schlamm aus dem Haus seiner Mutter.

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