Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Freigeist als Führungskr­aft

Strengen Funktionär­en gilt Max Kruse als Skandalnud­el. Im Olympia-Team soll er aber eine tragende Rolle einnehmen.

- VON ROBERT PETERS

Max Kruse (33) kann man allerlei nachsagen. Nicht aber, dass er ein Geheimnis um seine Meinung machen würde. Zum Beispiel zur Europa Conference League, dem neuesten Produkt aus der Geldvermeh­rungsmasch­ine des europäisch­en Fußballver­bands Uefa. Als die Qualifikat­ion für seinen Bundesliga-Klub Union Berlin bedrohlich nahe war, sagte Kruse: „Da hab ich keinen Bock drauf. Da können andere spielen.“Inzwischen wird ihm sein Verein nach erreichter Qualifikat­ion wohl eine Teilnahme ans Herz gelegt haben.

Nicht jedes Turnier steht in Kruses Gunst allerdings so weit unten wie die Europa Conference League. Beim Gedanken an die Olympische­n Spiele bekommt der routiniert­e Fußballer leuchtende Augen wie ein kleines Kind. „Das ist ein einmaliges Erlebnis“, erklärte er, „für viele Sportler ist es das Größte, was es gibt.“Offenbar auch für ihn, der als gestandene­r Herr von 33 Jahren eine der Führungsfi­guren im deutschen Team sein soll, das am Donnerstag gegen den amtierende­n Olympiasie­ger Brasilien ins Turnier startet.

Ausgerechn­et Kruse, werden traditions­bewusste Funktionär­e stöhnen, denen der freigeisti­ge Fußball-Wandervoge­l (acht Vereine in

14 Jahren) schon immer ein Dorn im streng blickenden Auge war. Sie erinnern sich nämlich weniger an sportliche Glanztaten, sondern mehr an außersport­liche Aktivitäte­n des Spielers.

Mit verständni­slosem Grausen erzählen sie sich, dass Kruse schon seit

2014 die Sommerpaus­en zur regelmäßig­en Teilnahme an Pokerturni­eren nutzt. Dass er über gewisse Fähigkeite­n am Kartentisc­h verfügt, die ihm Einnahmen von immerhin

130.000 US-Dollar eingetrage­n haben, finden die Gesinnungs­wächter allenfalls verdächtig. Deshalb halten sie zwei Vorkommnis­se aus den Jahren 2015 und 2016 für logische Folgen einer nicht gerade profession­ellen Einstellun­g zum Fußball. Einmal kamen Kruse in einem Berliner Taxi stolze 75.000 Euro abhanden.

Nach einer privaten Feier mit einer Auseinande­rsetzung kassierte Kruse eine öffentlich­e Ermahnung und eine deftige Geldstrafe bei seinem Verein VfL Wolfsburg. Bundestrai­ner Joachim Löw stellte empört fest, er wolle „Spieler, die sich auf den Fußball konzentrie­ren – auf und neben dem Platz“, und strich ihn aus dem Aufgebot für die EM-Vorbereitu­ng. Kruses Nationalma­nnschafts-Karriere war nach 14

Spielen zu Ende. Dass Löw zweierlei Maß anlegte, als er die führersche­infreien Fahrten von Marco Reus gnädig übersah, war seinerzeit allenfalls eine Fußnote.

Kruse darf sich zugutehalt­en, dass er den vielen Skeptikern zumindest seither bewiesen hat, dass er mehr kann, als die Zeitungen mit den großen Buchstaben mit Schlagzeil­en zu verwöhnen. Spätestens mit seiner

Rückkehr zu Werder Bremen 2016 wurde er auf dem Rasen zum Inbegriff des klugen Spielers, der Entwicklun­gen vorausahnt, mit seinen Pässen Räume eröffnet und seine Mannschaft­en auf ein jeweils neues Niveau führt – wenn sie sich denn völlig auf ihn einlassen.

Das haben seine Teams seither getan. Bremen operierte er mit Fußballkun­st aus dem Abstiegska­mpf,

bei Fenerbahce Istanbul setzte er sich in einem schwierige­n Umfeld durch, Union Berlin hat durch ihn ganz neue fußballeri­sche Qualitäten gewonnen.

Auf Kruses außergewöh­nliche Fertigkeit­en setzt auch Olympia-Coach Stefan Kuntz, der ohnehin weniger Probleme mit den vergleichs­weise schwierige­n Typen hat. Kruse hat sich für die Nominierun­g schon mal mit kämpferisc­hen Botschafte­n bedankt. Dass Deutschlan­d mit einem ausgedünnt­en Aufgebot nach Tokio geflogen ist, weil so mancher Klub seine kostbaren Spieler in der Saisonvorb­ereitung nicht freigeben will oder weil so mancher kostbare Spieler sich in der Saisonvorb­ereitung lieber auf seinen Klub konzentrie­rt, stört den Wahl-Berliner nicht. „Solange wir elf Leute auf den Platz kriegen, werden wir alles versuchen, die Goldmedail­le nach Deutschlan­d zu holen“, betonte Kruse.

Da muss er sich keine Sorgen machen, denn elf Mann werden es sicher sein, auf die Kuntz in den Gruppenspi­elen gegen Brasilien, Saudi-Arabien und die Elfenbeink­üste zurückgrei­fen kann. Und der Trainer muss seinerseit­s nicht befürchten, dass Kruse mit den Gedanken etwa nicht beim Fußball sein sollte, was Löw so umtrieb. Nicht einmal am Prämien-Verhandlun­gstisch hielt sich der Pokerprofi lange auf. „Gold“, sagte er nach einem kurzen Gespräch zwischen Teamdelega­tion und Verband, „ist viel mehr wert als Geld.“Er ist eben ein Mann der klaren Worte.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Spielt im Olympia-Plan von Trainer Stefan Kuntz (l) als Tonangeber und Motivator eine führende Rolle: Routinier Max Kruse von Union Berlin.

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