Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Steingewor­dener Kompromiss

Für die einen architekto­nisches Highlight, für die anderen Hassobjekt der Wiedervere­inigung: Das Humboldt-Forum ist eröffnet.

- VON GREGOR MAYNTZ

Kaiser Wilhelm ist auch wieder da. Mit stolzem Blick und ordensgesc­hmückter Brust blickt er auf den Besucher. So gehört sich das wohl für den einstigen Hausherrn des Hohenzolle­rn-Schlosses mitten in Berlin, nun, da sein architekto­nisches Ausrufezei­chen für den Anspruch auf Preußen, Europa und die Welt wiederaufg­ebaut ist und an diesem Dienstag festlich eröffnet wurde. Aber Wilhelm II. steht nicht etwa an einem der Eingangspo­rtale. Sein Bild hängt vielmehr ziemlich versteckt in einer Nische der Ausstellun­g zur Berliner Stadtgesch­ichte in der ersten Etage des Schlosses. Es heißt nun Humboldt-Forum. Und Seine Majestät ist darin ein ziemlich unwichtig gewordener Nebenaspek­t des Themas „Mode“. Ja, Uniformen wurden in Berlin auch mal getragen, wie man an diesem komischen Typen sieht. Ist lange her. Und der Mann auf dem Bild ist betitelt mit „Ex“. War mal Kaiser. Mit Betonung auf „war“.

Die Stellung des Kaisers in seinem einstigen Preußen-Palast ist geringer als der Stellenwer­t, den Schau und Raum der Zwischennu­tzung des Areals als Erich Honeckers Palast der Republik einräumen. Leuchtmitt­el aus „Erichs Lampenlade­n“finden sich an mehreren Stellen, in riesigen Panoramafo­rmaten werden die 70er-Jahre in Bars und Volkskamme­r lebendig, als der Palast der Republik eine moderne, weltoffene DDR präsentier­en sollte. Insofern ist der Wiederaufb­au

des Stadtschlo­sses nicht die Entfernung der DDR aus der deutschen Geschichte und ihre Ersetzung durch die historisch­e Preußenkul­isse vor Krieg und Teilung. Es ist im Innern der Kompromiss, der auch das Äußere prägt. Nord-, Südund Westfassad­e bilden die Rekonstruk­tion des Barockschl­osses einschließ­lich Kuppel und Kreuz, vom Osten ist es die Fassade eines modernen Zweckbaus.

Der italienisc­he Architekt Franco Stella hat diesen Kompromiss Stein werden lassen. Vom Westen komplettie­rt die barocke Schlossarc­hitektur das Bild zwischen Museumsins­el, Berliner Dom und Marstall. Vom Osten könnte es ein grundsanie­rter Palast der Republik sein, der freilich die Etagen-Anmutung des barocken Vorgängers aufgreift. Und wie sieht der Blick von innen aus? Zwei ständig geöffnete Durchgänge nehmen die Besucher in die modernisie­rte Architektu­rgeschicht­e hinein, bieten ihnen im Schlüter-Hof ein wenig mediterran­es Flair vor dem prächtigen Eosander-Portal und Raum zum Verweilen. Im Süden fällt beim Rausgehen der Blick auf Rotes Rathaus, Hanns-Eisler-Hochschule, das ehemalige Staatsrats­gebäude und das Auswärtige Amt. Im Norden sieht der Passant nach dem Forumsbesu­ch das Deutsche Historisch­e Museum, das Alte Museum, den Berliner Dom und den Alexanderp­latz. Eine West-Ost- und Alt-neu-Anmutung also auch hier.

71 Jahre nach der Sprengung des Schlosses, 14 Jahre nach dem Baubeschlu­ss und sieben Jahre nach dem ersten Spatenstic­h ist für 700 Millionen Euro (davon über 100 aus Spenden) eine Schlossanm­utung als neues kulturelle­s Zentrum entstanden. Zur Relation der Kosten: Für die Verlängeru­ng der U-Bahn vom Alexanderp­latz unterm Schloss hindurch zum Hauptbahnh­of waren 160 Millionen mehr nötig. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters würdigt das Gebaute bei der Eröffnung am Dienstag als „größtes Kulturproj­ekt Deutschlan­ds“, Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller spricht von einem „großartige­n Tag für Berlin“und einem „neuen Anziehungs­punkt“in der Mitte der Hauptstadt. Und Generalint­endant Hartmut Degerloh freut sich auf viele Besucher, mit denen er diesen Ort „zum lebendigen Forum machen“will.

Vor allem wird das Forum aber als ein lebendiger Konflikt wahrgenomm­en werden, wenn im September die beiden Dauerausst­ellungen des Ethnologis­chen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im zweiten und dritten Obergescho­ss des Komplexes eröffnen. Denn die Debatte um den Umgang mit jenen Objekten, die den Kolonialis­mus spiegeln, hat seit den ersten musealen Überlegung­en an Schärfe rapide zugenommen. Die Staatliche­n Museen zu Berlin bemühen sich bereits im Vorfeld, die fatale Vergangenh­eit in eine Gegenwart der Verständig­ung und Zukunft der Versöhnung zu drehen. Es ist offen, ob ihnen das gelingt oder der Ruf nach Rückgabe stärker wird.

Wie es gelingen kann, die Befürchtun­g einer verstaubt präsentier­ten Stadtgesch­ichte zu verscheuch­en, zeigt jedenfalls schon einmal die Berlin-Ausstellun­g im ersten Obergescho­ss. Sie folgt dem Konzept, wonach das Lokale vom Globalen bestimmt und das Globale durch das Lokale verständli­ch wird. Wie kaum eine andere Stadt ist Berlin von Nicht-Berlinern geprägt – und von den Verknüpfun­gen mit vielen Orten und Kulturen der Welt. Die Informatio­n und Aufklärung über das Erlebnis Berlin gilt vielen Sinnen – bis hin zum Geruch. Mit Chip am Handgelenk gibt es nicht Vorgestanz­tes für alle, sondern Gestaltbar­es für jeden. Auch die Provokatio­n gehört dazu.

Eine andere von jetzt schon sechs Ausstellun­gen heißt „schrecklic­h schön“und widmet sich dem Verhältnis von Mensch und Elefant. Die Bedeutung des Elfenbeins wird nicht nur für Diplomatie, Handel, Musik, Kunsthandw­erk und Medizin klar. Es geht auch emotional um die Laute einer sterbenden Elefantenk­uh und um die Kraft der Geschöpfe. „Rommels Toyota“steht auch hier: Das zertrampel­te Wrack von Elefantenf­reunden, die einem aggressive­n Tier in die Quere kamen. Schon wenige Stunden reichen, um mit vielen neuen Bildern, mehr Wissen und interessan­ten Ideen das Humboldt-Forum zu verlassen. Zusammen sagen sie: mehr davon.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA

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