Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Bidens weitsichtiger Pipeline-Kompromiss
Dass der russische Präsident Wladimir Putin alles andere ist als ein „lupenreiner Demokrat“, als den ihn Gerhard Schröder einst feierte, steht außer Zweifel. Brutale Unterdrückung der russischen Opposition, Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, ungeklärte Hacker-Angriffe auf andere Staaten – die Liste der Vorwürfe ist lang. Aus gutem Grund schaut der Westen genau hin, mit wem er welchen Umgang pflegt. Doch Nord Stream 2 ist das falsche Mittel, um Russland zu erziehen. Darum ist es eine gute Nachricht, dass US-Präsident Joe Biden nun mit einem klugen Kompromiss den Konflikt beilegt und den Weg für die Ostsee-Pipeline freimacht. Natürlich ist Russland ein mächtiger Energie-Lieferant für Europa. Doch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wird die EU immer wenig abhängig von russischem Gas. Zudem hat Russland sein Gas noch nie, nicht einmal auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als Waffe gegen den Westen eingesetzt. Das einzige Land, das Europa jemals das Gas abklemmte, war die Ukraine im bilateralen Streit mit Russland.
Die Argumente der USA gegen Nord Stream 2 waren immer vorgeschoben: Vor allem Donald Trump ging es nicht um die energiepolitische Unabhängigkeit Europas, sondern um die Interessen der US-Industrie, die ihr teures Flüssiggas leichter nach Europa verkaufen kann, wenn es keine neue Pipeline gibt. Doch der erfahrene Geopolitiker Biden hat Größeres im Blick als die texanische Gasindustrie. Nicht die schwächelnde Großmacht Russland, sondern die ebenso undemokratische Großmacht China sieht er als die größte politische und wirtschaftliche Herausforderung für die USA. In diesem Kampf will er Deutschland an seiner Seite wissen. Das ist weitsichtig – politisch und wirtschaftlich, für Europa und die USA.