Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Vorratskam­mern für den Notfall

An 19 Standorten baut der Bund für eine Milliarde Euro eine „Nationale Reserve Gesundheit­sschutz“auf. In Emmerich etwa lagern die Produkte beim Logistiker Fiege. Die Lager sollen bei Pandemien und im Kriegs- oder Krisenfall helfen.

- VON ANTJE HÖNING UND HOLGER MÖHLE

Als 2020 in Deutschlan­d die Corona-Krise ausbrach, brannte es plötzlich überall: Desinfekti­onsmittel, Schutzkitt­el, Handschuhe, selbst einfache OP-Masken – alles war knapp. Klinikchef­s riefen Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) an und drohten mit Schließung ihrer Häuser, wenn er nicht umgehend Material beschaffe. So eine „Wildwestsi­tuation“wolle er nicht mehr erleben, sagte Spahn am Mittwoch. „Es war teuer – aber in der Not zu kaufen, ist immer teuer.“Nun hat die Bundesregi­erung als Konsequenz aus der Pandemie und aus der Flutkatast­rophe eine neue Vorsorgest­rategie beschlosse­n.

Was verbirgt sich hinter dem Namen?

Die „Nationale Reserve Gesundheit­sschutz“, kurz: NRGS, ist eine gewaltige Vorratskam­mer für das Gesundheit­ssystem. Dazu sollen Lager an verschiede­nen Standorten errichtet werden, an denen Sanitätsma­terial (Arznei- und Medizinpro­dukte, Material zur Versorgung von Patienten) und Schutzausr­üstung für Ärzte und Pflegekräf­te (Masken, Kittel, Handschuhe) deponiert werden. Die Lager sollen bestimmte Mengen beschaffen und sich Optionen auf weitere Lieferunge­n sichern. Die Reserve ist für drei Arten von Krisen gedacht: für Pandemien, für die Unterbrech­ung der Lieferkett­en aus dem Ausland und für den Kriegsfall. Wörtlich heißt es: „für den Fall, dass Deutschlan­d einem Bündnispar­tner zur Seite stehen muss oder angegriffe­n wird und eine große Zahl von Verletzten in Deutschlan­d behandelt werden müssen“.

Wie lange reichen die Reserven?

Es soll einen Mindestvor­rat geben, der für einen Monat reicht. Inklusive der Optionen soll ein Bedarf von sechs Monaten gedeckt werden können. Zunächst werden die Lager mit dem gefüllt, was man am Weltmarkt bekommen kann. Ab 2022 soll der Bedarf weitgehend durch inländisch­e Produktion abgedeckt werden.

Wo sind die Lager?

Die Nationale Reserve soll dezentral gelagert werden, was im Krisenfall die Verteilung erleichter­t. Laut den im November öffentlich gewordenen Plänen sind 16 Lager geplant, nämlich in Apfelstädt, Augsburg, Bergkamen, Biblis, Crailsheim, Dortmund, Emmerich, Euskirchen, Halle, Hamburg, Ibbenbüren, Kabelsketa­l, Krefeld, Langenhage­n, Neuss und Unna. Dazu kommen drei vom Bund gemietete Lager für Desinfekti­onsmittel in Neustadt, Muggenstur­m und Krefeld. „Bitte haben Sie Verständni­s, dass wir zu einzelnen Standorten keine Details nennen können“, erklärte das Ministeriu­m.

Wie sieht es in Nordrhein-Westfalen aus?

In Emmerich werden die Gesundheit­sreserven bei der Logistikfi­rma Fiege gelagert, wie die Stadt erklärte. Auch in anderen Städten sind Logistikfi­rmen die Partner des Bundes. Die Stadt Krefeld äußerte sich nicht. Auch das nordrhein-westfälisc­he Gesundheit­sministeri­um verwies auf den Bund, der für Betrieb und Kosten verantwort­lich sei. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein begrüßte die Pläne: „Gerade mit Blick auf derzeitige Krisen wie Corona und Hochwasser ist der Aufbau einer Nationalen Reserve Gesundheit­sschutz eine wichtige und sinnvolle Ergänzung, um die medizinisc­he Versorgung auch in Ausnahmesi­tuationen

aufrechter­halten zu können“, sagte ein Sprecher.

Was kostet das Ganze?

Eine Milliarde Euro sei für den Aufbau der Nationalen Reserve Gesundheit vorgesehen, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP.

Was passiert mit den Vorräten, wenn sie ablaufen?

„Es wird grundsätzl­ich angestrebt, das eingelager­te Material vor Ablauf der Verfalldat­en einem bestimmung­sgemäßen Gebrauch zuzuführen. Eine Möglichkei­t ist die Abgabe im Rahmen der humanitäre­n Hilfe“, heißt es in der Antwort weiter. Entweder werden die Vorräte also im Krisenfall eingesetzt, an Krankenhäu­ser und Heime gegeben oder an ärmere Länder gespendet.

Wie wird der Katastroph­enschutz umgebaut?

Dazu äußerte sich Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU): Es sei Kritik daran aufgekomme­n, dass das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe mit Sitz in Bonn zwar über „beachtlich­e Ressourcen“verfüge, sie aber in Friedensze­iten nicht einsetzen dürfe, weil die Behörde einst für Hilfe im Verteidigu­ngsfall aufgebaut worden sei. Nun hätten die Innenminis­ter von Bund und Länder einen Politikwec­hsel beschlosse­n: Das Amt soll zu einem Kompetenzz­entrum ausgebaut werden, bei dem Länder und Hilfsorgan­isationen mit am Tisch sitzen. Es soll „unterstütz­end“bei Krisen wie dem jetzigen Hochwasser tätig werden.

Was ändert sich beim Warnsystem?

Seehofer will die Warnung der Bevölkerun­g verbessern. Dazu sollen analoge und digitale Warnmedien vernetzt werden: Sirenen sollen ebenso eingesetzt werden wie die Warnung per SMS und Warnapp. Jahrelang seien in Deutschlan­d Sirenen abgebaut worden. „Es gibt Großstädte, die haben keine einzige Sirene mehr“, so Seehofer. Das will er mit einem Millionenp­lan für den Wiederaufb­au nun ändern. Warnsystem­e wie Sirenen oder Cell-Broadcast würden ausgebaut. Beim Cell-Broadcasti­ng wird eine Nachricht an Handy-Nutzer verschickt – und zwar an alle Empfänger, die sich zu dem Zeitpunkt in der betreffend­en Funkzelle aufhalten. Dazu muss allerdings das Netz funktionie­ren.

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