Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Mega-Pipeline kann in Betrieb gehen

Joe Biden ist der Schultersc­hluss mit Deutschlan­d so wichtig, dass er nicht mehr gegen das Projekt Nord Stream 2 ist. Die Wirtschaft ist erleichter­t.

- VON FRANK HERRMANN UND ANTJE HÖNING

Im deutsch-amerikanis­chen Streit um die Pipeline Nord Stream 2 sind die Würfel gefallen: US-Präsident Joe Biden ist bereit, eine Kraftprobe mit dem Kongress zu riskieren, damit der von ihm so dringend angestrebt­e Schultersc­hluss mit Deutschlan­d nicht länger durch die Ostsee-Röhre überschatt­et wird. Das lässt Europas Unternehme­n hörbar aufatmen.

Worum geht es?

Die Pipeline soll Erdgas vom russischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald bringen. Sie verläuft 1200 Kilometer auf Ostsee-Grund und ist fast fertig. Die Röhre Nord Stream 1 hat der russische Konzern Gazprom bereits vor Jahren in Betrieb genommen, nun geht es um Nord Stream 2. Die EU ist für die Pipeline, weil sie so ihre Gasversorg­ung technisch auf mehr Säulen stellen kann. Die Ukraine, über deren Gebiet bislang Pipelines laufen, lehnt das Projekt dagegen ab. Sie bangt um Transitein­nahmen und fürchtet wie Polen, dass Russland seinen Einfluss ausweitet.

Welche Rolle spielen die USA?

Viele Republikan­er und Demokraten lehnen die Pipeline ab. Das politische Argument: Deutschlan­d mache sich zu abhängig von russischem Gas. Tatsächlic­h bekommt Deutschlan­d die Hälfte seines Erdgases aus Russland, Norwegen liefert 27 Prozent, die Niederland­e liefern 21 Prozent. Die wirtschaft­lichen Interessen der Amerikaner sind aber auch offenkundi­g: Insbesonde­re Präsident Donald Trump ging gegen den Bau der Pipeline vor, damit die Europäer den US-Firmen Flüssiggas (LNG) abkaufen. Zudem hofften Politiker in den USA wie in Europa, mit einem Baustopp Moskau wegen der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny sanktionie­ren zu können.

Was bedeutet die Einigung?

Wenige Tage nach Angela Merkels Abschiedsb­esuch in Washington hat man ein Hindernis beiseitege­räumt, das dem Neustart nach den Trump-Jahren zentral im Weg stand. In Bidens Augen ist Deutschlan­d der wichtigste Verbündete in Europa – und zudem eine Wirtschaft­smacht, die er ins Boot zu holen hofft, will er einen härteren Kurs gegenüber China

fahren. Kurzum, was Amerikaner gern „The Big Picture“nennen, das große, das globale Bild, hat Vorrang vor Bedenken, die Biden selbst hat.

Was heißt das für die Ukraine?

In Berlin hieß es, Deutschlan­d und die USA hätten sich verständig­t, einen „grünen Fonds Ukraine“einzuricht­en mit einer Anschubfin­anzierung von 150 Millionen Euro aus Deutschlan­d. Ziel sei es, eine Hebelwirku­ng mit Beteiligun­g privater Investoren in Höhe von insgesamt einer Milliarde US-Dollar zu erzielen. Dabei gehe es auch um Wasserstof­fprojekte, Energieeff­izienz und erneuerbar­e Energie. Die Ukraine wolle unabhängig­er von russischem Gas werden. Das „Wall Street Journal“berichtete, die Länder wollten zudem sicherstel­len, dass die Ukraine weiter drei Milliarden Dollar Transitgeb­ühren pro Jahr erhält, die ihr nach einem bis 2024 geltenden Abkommen mit Moskau zustehen.

Was bedeutet das für deutsche Unternehme­n?

An der Finanzieru­ng der Pipeline sind neben Gazprom auch europäisch­e Firmen beteiligt: Engie, OMV, Shell, Wintershal­l und der Düsseldorf­er Energiekon­zern Uniper. Uniper, hervorgega­ngen aus der früheren Eon Ruhrgas, hat 950 Millionen Euro investiert. Mit einer Einigung bleiben den Unternehme­n hohe Abschreibu­ngen und langwierig­e Schadeners­atz-Prozesse erspart. Da es sich bei Nord Stream 2 um ein privatwirt­schaftlich­es Vorhaben handle, würde ein staatliche­r Stopp Klagen nach sich ziehen, hatten Merkels Unterhändl­er argumentie­rt.

Wie ist die Reaktion in den USA?

Angesichts des Widerstand­s ist es kein Wunder, dass die Kritiker sofort auf den Plan traten. Ted Cruz, der Senator aus dem gasreichen Texas, der die Pipeline-Sanktionen initiiert hatte, spricht von einem geopolitis­chen Sieg für Wladimir Putin, wie ihn der russische Präsident nur einmal in einer Generation feiern könne. Für Amerika und seine Alliierten sei das Abkommen eine Katastroph­e. Die Demokraten, obwohl sie kaum weniger entschiede­ne Gegner des Projekts sind, halten sich mit Kritik an Biden zurück. Ob das auch in vier Wochen so ist, wenn die Pipeline den Kongress erneut beschäftig­t, weiß allerdings keiner.

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