Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Mega-Pipeline kann in Betrieb gehen
Joe Biden ist der Schulterschluss mit Deutschland so wichtig, dass er nicht mehr gegen das Projekt Nord Stream 2 ist. Die Wirtschaft ist erleichtert.
Im deutsch-amerikanischen Streit um die Pipeline Nord Stream 2 sind die Würfel gefallen: US-Präsident Joe Biden ist bereit, eine Kraftprobe mit dem Kongress zu riskieren, damit der von ihm so dringend angestrebte Schulterschluss mit Deutschland nicht länger durch die Ostsee-Röhre überschattet wird. Das lässt Europas Unternehmen hörbar aufatmen.
Worum geht es?
Die Pipeline soll Erdgas vom russischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald bringen. Sie verläuft 1200 Kilometer auf Ostsee-Grund und ist fast fertig. Die Röhre Nord Stream 1 hat der russische Konzern Gazprom bereits vor Jahren in Betrieb genommen, nun geht es um Nord Stream 2. Die EU ist für die Pipeline, weil sie so ihre Gasversorgung technisch auf mehr Säulen stellen kann. Die Ukraine, über deren Gebiet bislang Pipelines laufen, lehnt das Projekt dagegen ab. Sie bangt um Transiteinnahmen und fürchtet wie Polen, dass Russland seinen Einfluss ausweitet.
Welche Rolle spielen die USA?
Viele Republikaner und Demokraten lehnen die Pipeline ab. Das politische Argument: Deutschland mache sich zu abhängig von russischem Gas. Tatsächlich bekommt Deutschland die Hälfte seines Erdgases aus Russland, Norwegen liefert 27 Prozent, die Niederlande liefern 21 Prozent. Die wirtschaftlichen Interessen der Amerikaner sind aber auch offenkundig: Insbesondere Präsident Donald Trump ging gegen den Bau der Pipeline vor, damit die Europäer den US-Firmen Flüssiggas (LNG) abkaufen. Zudem hofften Politiker in den USA wie in Europa, mit einem Baustopp Moskau wegen der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny sanktionieren zu können.
Was bedeutet die Einigung?
Wenige Tage nach Angela Merkels Abschiedsbesuch in Washington hat man ein Hindernis beiseitegeräumt, das dem Neustart nach den Trump-Jahren zentral im Weg stand. In Bidens Augen ist Deutschland der wichtigste Verbündete in Europa – und zudem eine Wirtschaftsmacht, die er ins Boot zu holen hofft, will er einen härteren Kurs gegenüber China
fahren. Kurzum, was Amerikaner gern „The Big Picture“nennen, das große, das globale Bild, hat Vorrang vor Bedenken, die Biden selbst hat.
Was heißt das für die Ukraine?
In Berlin hieß es, Deutschland und die USA hätten sich verständigt, einen „grünen Fonds Ukraine“einzurichten mit einer Anschubfinanzierung von 150 Millionen Euro aus Deutschland. Ziel sei es, eine Hebelwirkung mit Beteiligung privater Investoren in Höhe von insgesamt einer Milliarde US-Dollar zu erzielen. Dabei gehe es auch um Wasserstoffprojekte, Energieeffizienz und erneuerbare Energie. Die Ukraine wolle unabhängiger von russischem Gas werden. Das „Wall Street Journal“berichtete, die Länder wollten zudem sicherstellen, dass die Ukraine weiter drei Milliarden Dollar Transitgebühren pro Jahr erhält, die ihr nach einem bis 2024 geltenden Abkommen mit Moskau zustehen.
Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?
An der Finanzierung der Pipeline sind neben Gazprom auch europäische Firmen beteiligt: Engie, OMV, Shell, Wintershall und der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper. Uniper, hervorgegangen aus der früheren Eon Ruhrgas, hat 950 Millionen Euro investiert. Mit einer Einigung bleiben den Unternehmen hohe Abschreibungen und langwierige Schadenersatz-Prozesse erspart. Da es sich bei Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben handle, würde ein staatlicher Stopp Klagen nach sich ziehen, hatten Merkels Unterhändler argumentiert.
Wie ist die Reaktion in den USA?
Angesichts des Widerstands ist es kein Wunder, dass die Kritiker sofort auf den Plan traten. Ted Cruz, der Senator aus dem gasreichen Texas, der die Pipeline-Sanktionen initiiert hatte, spricht von einem geopolitischen Sieg für Wladimir Putin, wie ihn der russische Präsident nur einmal in einer Generation feiern könne. Für Amerika und seine Alliierten sei das Abkommen eine Katastrophe. Die Demokraten, obwohl sie kaum weniger entschiedene Gegner des Projekts sind, halten sich mit Kritik an Biden zurück. Ob das auch in vier Wochen so ist, wenn die Pipeline den Kongress erneut beschäftigt, weiß allerdings keiner.