Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Als Kritiker hat Deutschlan­d keine Chance, Olympia-Gastgeber zu werden

- STEFAN KLÜTTERMAN­N

Die 138. Session des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) in Tokio an diesem Mittwoch wird in die Geschichte des deutschen Sports eingehen. Als Tag, an dem die Vorstellun­g beerdigt wurde, Deutschlan­d könne in absehbarer Zukunft auch wieder mal olympische­r Gastgeber sein. Weil die offizielle Wahl des australisc­hen Brisbane als Ausrichter der Sommerspie­le 2032 das endgültige Aus für die Initiative Rhein-Ruhr-City bedeutet. Dieser sporthisto­rische Tiefpunkt hat zwei zentrale Ursachen. Und mit zumindest einer davon darf sich die deutsche Sportöffen­tlichkeit durchaus schmücken.

Doch zuerst Ursache Nummer eins: Deutschlan­d scheitert seit mittlerwei­le Jahrzehnte­n daran, Sport, Politik und Bürger hinter einer gemeinsame­n Idee einer Ausrichtun­g Olympische­r Spiele zu versammeln. Es fehlt an Überzeugun­g, es fehlt an Mut, es fehlt an dem Willen, ohne Hintertür in den Bewerbungs­prozess zu gehen. Das ist im Gesamtbild für eine Sportnatio­n wie Deutschlan­d auf den ersten Blick ein Armutszeug­nis.

Aber in diesem Armutszeug­nis liegt eben auch der zweite Grund für eine gefühlte Missachtun­g Deutschlan­ds durch das IOC. Einig sind sich Politik, Sport und Bürger hierzuland­e nämlich in einem anderen Punkt: das IOC zu kritisiere­n. Kaum ein anderes Land hat in den vergangene­n Jahren derart klar den Finger in die Wunde der olympische­n Schlechtig­keiten gelegt wie wir. Zum Glück. Und zurecht.

Beispiele? Die vom IOC propagiert­e neue Nachhaltig­keit bei Olympia-Bauten wird hierzuland­e nicht nur als Floskel abgetan, sondern unter die Lupe genommen.

Athletenve­rtreter wie Max Hartung finden weltweit Beachtung und Gehör, wenn sie das IOC und Präsident Thomas Bach dafür kritisiere­n, in welch geringem Maße die Sportler an den Olympia-Einnahmen beteiligt werden und welchen Gängelunge­n in der Außendarst­ellung sich Athleten unterwerfe­n müssen, wollen sie an Spielen teilnehmen.

Den russischen Dopingskan­dal haben maßgeblich deutsche Journalist­en aufgedeckt. Und diese Aufdeckung hat natürlich auch dem IOC und seinem Ansehen geschadet.

Kurzum – und aus Sicht des IOC: Warum sollte man so masochisti­sch veranlagt sein, sein milliarden­schweres Premiumpro­dukt Olympische Spiele an einen Ort zu vergeben, wo man Aufdeckung von Skandalen, Proteste mündiger Bürger, Widerspruc­h im Allgemeine­n und Entlarvung von Worthülsen fürchten muss? So viel Liebe zum Eigentor kann doch nun wirklich niemand von einem gigantisch­en Unternehme­n wie dem IOC verlangen.

Da ist es doch viel einfacher, Spiele in Länder zu vergeben, wo die nationalen Organisato­ren komplett auf die IOC-Linie eingeschwu­nken sind, wie im Fall des australisc­hen IOC-Vize-Präsidente­n John Coates, und die Politik bedingungs­los im Rücken wissen (weil sie zuweilen einfach ein und dasselbe sind), wo Kritiker mundtot gemacht werden, wo Bürger zum Fähnchensc­hwenken und Klatschen verdonnert werden können, wenn sich die IOC-Granden die Ehre geben.

Was also tun aus deutscher Sicht? Das Sportland Deutschlan­d muss sich künftig noch stärker in seiner Rolle als kritischer Begleiter der Olympische­n Spiele profiliere­n. Das hilft dem globalen Sport am Ende mehr, als nochmal Ausrichter zu sein. Und das kann am Ende die wirklich zentrale Lehre dieses Mittwochs sein.

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