Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Als Kritiker hat Deutschland keine Chance, Olympia-Gastgeber zu werden
Die 138. Session des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Tokio an diesem Mittwoch wird in die Geschichte des deutschen Sports eingehen. Als Tag, an dem die Vorstellung beerdigt wurde, Deutschland könne in absehbarer Zukunft auch wieder mal olympischer Gastgeber sein. Weil die offizielle Wahl des australischen Brisbane als Ausrichter der Sommerspiele 2032 das endgültige Aus für die Initiative Rhein-Ruhr-City bedeutet. Dieser sporthistorische Tiefpunkt hat zwei zentrale Ursachen. Und mit zumindest einer davon darf sich die deutsche Sportöffentlichkeit durchaus schmücken.
Doch zuerst Ursache Nummer eins: Deutschland scheitert seit mittlerweile Jahrzehnten daran, Sport, Politik und Bürger hinter einer gemeinsamen Idee einer Ausrichtung Olympischer Spiele zu versammeln. Es fehlt an Überzeugung, es fehlt an Mut, es fehlt an dem Willen, ohne Hintertür in den Bewerbungsprozess zu gehen. Das ist im Gesamtbild für eine Sportnation wie Deutschland auf den ersten Blick ein Armutszeugnis.
Aber in diesem Armutszeugnis liegt eben auch der zweite Grund für eine gefühlte Missachtung Deutschlands durch das IOC. Einig sind sich Politik, Sport und Bürger hierzulande nämlich in einem anderen Punkt: das IOC zu kritisieren. Kaum ein anderes Land hat in den vergangenen Jahren derart klar den Finger in die Wunde der olympischen Schlechtigkeiten gelegt wie wir. Zum Glück. Und zurecht.
Beispiele? Die vom IOC propagierte neue Nachhaltigkeit bei Olympia-Bauten wird hierzulande nicht nur als Floskel abgetan, sondern unter die Lupe genommen.
Athletenvertreter wie Max Hartung finden weltweit Beachtung und Gehör, wenn sie das IOC und Präsident Thomas Bach dafür kritisieren, in welch geringem Maße die Sportler an den Olympia-Einnahmen beteiligt werden und welchen Gängelungen in der Außendarstellung sich Athleten unterwerfen müssen, wollen sie an Spielen teilnehmen.
Den russischen Dopingskandal haben maßgeblich deutsche Journalisten aufgedeckt. Und diese Aufdeckung hat natürlich auch dem IOC und seinem Ansehen geschadet.
Kurzum – und aus Sicht des IOC: Warum sollte man so masochistisch veranlagt sein, sein milliardenschweres Premiumprodukt Olympische Spiele an einen Ort zu vergeben, wo man Aufdeckung von Skandalen, Proteste mündiger Bürger, Widerspruch im Allgemeinen und Entlarvung von Worthülsen fürchten muss? So viel Liebe zum Eigentor kann doch nun wirklich niemand von einem gigantischen Unternehmen wie dem IOC verlangen.
Da ist es doch viel einfacher, Spiele in Länder zu vergeben, wo die nationalen Organisatoren komplett auf die IOC-Linie eingeschwunken sind, wie im Fall des australischen IOC-Vize-Präsidenten John Coates, und die Politik bedingungslos im Rücken wissen (weil sie zuweilen einfach ein und dasselbe sind), wo Kritiker mundtot gemacht werden, wo Bürger zum Fähnchenschwenken und Klatschen verdonnert werden können, wenn sich die IOC-Granden die Ehre geben.
Was also tun aus deutscher Sicht? Das Sportland Deutschland muss sich künftig noch stärker in seiner Rolle als kritischer Begleiter der Olympischen Spiele profilieren. Das hilft dem globalen Sport am Ende mehr, als nochmal Ausrichter zu sein. Und das kann am Ende die wirklich zentrale Lehre dieses Mittwochs sein.