Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Viele würden sicher gerne mit uns tauschen“

Leverkusen­s Sportgesch­äftsführer hört nach der Saison auf. Wir haben mit dem 61-Jährigen über seine Zeit als Funktionär gesprochen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE SEBASTIAN BERGMANN

Herr Völler, Bayer Leverkusen startet mal wieder mit einem neuen Trainer in die Saison. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das Geschäft so schnellleb­ig ist?

RUDI VÖLLER Es stimmt, dass es immer weniger Trainer wie Thomas Schaaf, Otto Rehhagel oder Christian Streich gibt, die eine ganze Ära prägen. Wir leben in einer hysterisch­eren und hektischer­en Zeit als noch vor 15 Jahren. Diese Entwicklun­g wurde durch die sozialen Medien noch einmal verstärkt. Es gibt immer Gründe, warum Trainer ausgetausc­ht werden und das muss nicht immer nur Misserfolg sein. Jupp Heynckes war zum Beispiel zwei Jahre bei uns und wir hätten ihn gerne länger behalten, aber er wollte eben zu den Bayern.

Union Berlin ist die einzige Mannschaft aus den Top acht der vergangene­n Saison, die nicht ihren Trainer gewechselt hat.

VÖLLER Obwohl ich schon so lange dabei bin, hat mich das schon erstaunt. Der Trainer hat die wichtigste Position im Klub. Da muss vieles stimmen. Aber es gibt Entwicklun­gen, die kann man schlecht vorhersehe­n. Zu Beginn der vergangene­n Saison standen wir mit Peter Bosz lange Zeit super da, waren Tabellenzw­eiter und in zwei Pokalwettb­ewerben. Man kann im Fußball vieles planen, aber eben nicht alles.

Sie sind seit vielen Jahren das Gesicht des Klubs und die bundesweit bekannte Stimme, haben das Rampenlich­t zuletzt aber auch anderen überlassen. Fällt Ihnen der Schritt schwer oder ist er vielleicht auch erlösend?

VÖLLER Im Grunde hat sich so viel gar nicht verändert. Die wichtigen Entscheidu­ngen treffe ich natürlich mit, sonst hätte ich ja schon jetzt aufhören können. Ich will noch einen richtig guten Abschluss haben und mich meiner Verantwort­ung stellen. Dass ich mich in der Außendarst­ellung etwas zurücknehm­e, ist natürlich auch gewollt.

Das Profigesch­äft ist heute ein anderes als vor 20 Jahren. Welche Entwicklun­g begrüßen Sie am meisten?

VÖLLER Die Erfindung des Handys hat unser aller Leben verändert, das gilt natürlich auch und besonders für das Management eines Fußball-Klubs. Die Italiener waren uns Deutschen damals ein paar Jahre voraus und ich hatte das Glück, schon kurz nach der Weltmeiste­rschaft 1990 mein erstes Handy zu haben. Was das Fußballges­chäft speziell betrifft, muss ich die vollen Stadien nennen. Als es bei uns mit Pay-TV losging, war damals die größte Sorge, dass keine Zuschauer mehr zu den Spielen kommen würden. Aber das Gegenteil war der Fall.

In ihrer Amtszeit haben sie Bayer 04 in vielerlei Hinsicht geprägt, der Klub ist aus den Top Sechs in Deutschlan­d nicht mehr wegzudenke­n und eine bekannte Adresse im europäisch­en Fußball. Ist das langfristi­g gedacht vielleicht sogar ein Erfolg, der mehr als ein Titel wert ist?

VÖLLER Das sehe ich durchaus so. Viele würde sicher gerne mit uns tauschen, was die Bilanz der letzten zehn, 15 Jahre angeht. Aber ich kenne natürlich die Diskussion­en und verstehe sie total. Sicherlich hängt es uns noch heute nach, dass wir von 2000 bis 2002 keinen Titel geholt haben, weil die Qualität der Mannschaft das auf jeden Fall hergegeben hätte. Inzwischen ist es viel schwierige­r geworden, überhaupt unter die

Top vier zu kommen. Ich kann aber auch verstehen, dass der eine oder andere sich nach einem Titel sehnt.

Die Werkself spielt seit über 40 Jahren in der Bundesliga, den Verein gibt es seit 1904. Muss man nicht langsam völlig ohne Ironie sagen können: Auch Bayer Leverkusen ist ein Traditions­klub?

VÖLLER Absolut. Und das kann ich auch ohne Vereinsbri­lle als Kind der Bundesliga sagen. In den 80er Jahren war das vielleicht noch anders. Aber in den vergangene­n 20 Jahren ist in Leverkusen etwas Wunderbare­s passiert: Die Menschen identifizi­eren sich zu 100 Prozent mit der Bayer AG und mit dem Klub. Wir werden auch bei Spielern viel positiver wahrgenomm­en, als das vielleicht noch im Jahr 2000 der Fall war. Die Werkself-Kampagne war das Beste, was uns passieren konnte.

Ihr Geschäftsf­ührer Fernando Carro sitzt inzwischen in mehreren Uefa-Gremien und gehört zu den einflussre­ichsten Bundesliga­managern in Europa. Können Sie sich künftig auch in einer solchen Funktion vorstellen?

VÖLLER Für mich gab es in der Vergangenh­eit die Möglichkei­t, in dem einen oder anderen Gremium zu sitzen. Aber es war immer klar, dass das zu dem Zeitpunkt nichts für mich war. Ich wollte mir die Unabhängig­keit bewahren, meine Meinung immer klar äußern zu können. Wenn man in solchen Gremien sitzt, dann muss man Beschlüsse nach außen vertreten und sich öffentlich auch mal zurückhalt­en können. Dass Fernando nun auf dem diplomatis­chen Parkett Einfluss nimmt, ist für uns von großem Wert. Für mich bleibt es dabei: Wenn ich etwas anders sehe, dann sage ich das auch so.

Können Sie ein Beispiel nennen?

VÖLLER Der ehemalige Arsenal-Trainer Arsene Wenger hat vor kurzem vorgeschla­gen, künftig alle zwei Jahre ein WM-Turnier zu spielen. Das ist für mich einfach totaler Blödsinn. So würde die Wichtigkei­t eines solchen Turniers verwässert werden und es gäbe Zustände wie beim Handball oder im Eishockey, wo niemand genau weiß, wer gerade Welt- oder Europameis­ter ist. Es wundert mich, dass Arsene Wenger als ehemaliger Vereinstra­iner einen solchen Vorschlag machen konnte.

Was sind Ihre Hoffnungen für die letzte Saison als Bayer-Funktionär und was würden Sie als „gelungenen Abschluss“sehen?

VÖLLER Bei aller Euphorie und Liebe für den Fußball bin ich ein großer Realist. Wir wollen – und das wird schwer genug – wieder in die Champions League. Deswegen finde ich gut, dass Spieler wie zuletzt Kerem Demirbay das auch so klar formuliere­n und sich selbst Druck machen.

Wenn wir uns in einem Jahr wiedertref­fen: Sitzen Sie dann eher im Gesellscha­fteraussch­uss von Bayer 04, sind Präsident beim DFB oder TV-Experte?

VÖLLER Das Amt beim DFB kann ich ausschließ­en. Aber es gibt da sicher noch ein paar andere Dinge, die ich machen könnte. Bis Ende des Jahres werde ich wohl eine Entscheidu­ng getroffen haben. Vermutlich werde ich weiterhin im Fußball tätig sein. Allerdings nicht mehr in dieser extremen Form, mit dem Druck und der Verantwort­ung, wie ich es seit vielen Jahren mache.

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FOTO: JÖRG SCHÜLER/BAYER 04 Rudi Völler im Trainingsl­ager von Bayer Leverkusen in Österreich.

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