Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Viele würden sicher gerne mit uns tauschen“
Leverkusens Sportgeschäftsführer hört nach der Saison auf. Wir haben mit dem 61-Jährigen über seine Zeit als Funktionär gesprochen.
Herr Völler, Bayer Leverkusen startet mal wieder mit einem neuen Trainer in die Saison. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das Geschäft so schnelllebig ist?
RUDI VÖLLER Es stimmt, dass es immer weniger Trainer wie Thomas Schaaf, Otto Rehhagel oder Christian Streich gibt, die eine ganze Ära prägen. Wir leben in einer hysterischeren und hektischeren Zeit als noch vor 15 Jahren. Diese Entwicklung wurde durch die sozialen Medien noch einmal verstärkt. Es gibt immer Gründe, warum Trainer ausgetauscht werden und das muss nicht immer nur Misserfolg sein. Jupp Heynckes war zum Beispiel zwei Jahre bei uns und wir hätten ihn gerne länger behalten, aber er wollte eben zu den Bayern.
Union Berlin ist die einzige Mannschaft aus den Top acht der vergangenen Saison, die nicht ihren Trainer gewechselt hat.
VÖLLER Obwohl ich schon so lange dabei bin, hat mich das schon erstaunt. Der Trainer hat die wichtigste Position im Klub. Da muss vieles stimmen. Aber es gibt Entwicklungen, die kann man schlecht vorhersehen. Zu Beginn der vergangenen Saison standen wir mit Peter Bosz lange Zeit super da, waren Tabellenzweiter und in zwei Pokalwettbewerben. Man kann im Fußball vieles planen, aber eben nicht alles.
Sie sind seit vielen Jahren das Gesicht des Klubs und die bundesweit bekannte Stimme, haben das Rampenlicht zuletzt aber auch anderen überlassen. Fällt Ihnen der Schritt schwer oder ist er vielleicht auch erlösend?
VÖLLER Im Grunde hat sich so viel gar nicht verändert. Die wichtigen Entscheidungen treffe ich natürlich mit, sonst hätte ich ja schon jetzt aufhören können. Ich will noch einen richtig guten Abschluss haben und mich meiner Verantwortung stellen. Dass ich mich in der Außendarstellung etwas zurücknehme, ist natürlich auch gewollt.
Das Profigeschäft ist heute ein anderes als vor 20 Jahren. Welche Entwicklung begrüßen Sie am meisten?
VÖLLER Die Erfindung des Handys hat unser aller Leben verändert, das gilt natürlich auch und besonders für das Management eines Fußball-Klubs. Die Italiener waren uns Deutschen damals ein paar Jahre voraus und ich hatte das Glück, schon kurz nach der Weltmeisterschaft 1990 mein erstes Handy zu haben. Was das Fußballgeschäft speziell betrifft, muss ich die vollen Stadien nennen. Als es bei uns mit Pay-TV losging, war damals die größte Sorge, dass keine Zuschauer mehr zu den Spielen kommen würden. Aber das Gegenteil war der Fall.
In ihrer Amtszeit haben sie Bayer 04 in vielerlei Hinsicht geprägt, der Klub ist aus den Top Sechs in Deutschland nicht mehr wegzudenken und eine bekannte Adresse im europäischen Fußball. Ist das langfristig gedacht vielleicht sogar ein Erfolg, der mehr als ein Titel wert ist?
VÖLLER Das sehe ich durchaus so. Viele würde sicher gerne mit uns tauschen, was die Bilanz der letzten zehn, 15 Jahre angeht. Aber ich kenne natürlich die Diskussionen und verstehe sie total. Sicherlich hängt es uns noch heute nach, dass wir von 2000 bis 2002 keinen Titel geholt haben, weil die Qualität der Mannschaft das auf jeden Fall hergegeben hätte. Inzwischen ist es viel schwieriger geworden, überhaupt unter die
Top vier zu kommen. Ich kann aber auch verstehen, dass der eine oder andere sich nach einem Titel sehnt.
Die Werkself spielt seit über 40 Jahren in der Bundesliga, den Verein gibt es seit 1904. Muss man nicht langsam völlig ohne Ironie sagen können: Auch Bayer Leverkusen ist ein Traditionsklub?
VÖLLER Absolut. Und das kann ich auch ohne Vereinsbrille als Kind der Bundesliga sagen. In den 80er Jahren war das vielleicht noch anders. Aber in den vergangenen 20 Jahren ist in Leverkusen etwas Wunderbares passiert: Die Menschen identifizieren sich zu 100 Prozent mit der Bayer AG und mit dem Klub. Wir werden auch bei Spielern viel positiver wahrgenommen, als das vielleicht noch im Jahr 2000 der Fall war. Die Werkself-Kampagne war das Beste, was uns passieren konnte.
Ihr Geschäftsführer Fernando Carro sitzt inzwischen in mehreren Uefa-Gremien und gehört zu den einflussreichsten Bundesligamanagern in Europa. Können Sie sich künftig auch in einer solchen Funktion vorstellen?
VÖLLER Für mich gab es in der Vergangenheit die Möglichkeit, in dem einen oder anderen Gremium zu sitzen. Aber es war immer klar, dass das zu dem Zeitpunkt nichts für mich war. Ich wollte mir die Unabhängigkeit bewahren, meine Meinung immer klar äußern zu können. Wenn man in solchen Gremien sitzt, dann muss man Beschlüsse nach außen vertreten und sich öffentlich auch mal zurückhalten können. Dass Fernando nun auf dem diplomatischen Parkett Einfluss nimmt, ist für uns von großem Wert. Für mich bleibt es dabei: Wenn ich etwas anders sehe, dann sage ich das auch so.
Können Sie ein Beispiel nennen?
VÖLLER Der ehemalige Arsenal-Trainer Arsene Wenger hat vor kurzem vorgeschlagen, künftig alle zwei Jahre ein WM-Turnier zu spielen. Das ist für mich einfach totaler Blödsinn. So würde die Wichtigkeit eines solchen Turniers verwässert werden und es gäbe Zustände wie beim Handball oder im Eishockey, wo niemand genau weiß, wer gerade Welt- oder Europameister ist. Es wundert mich, dass Arsene Wenger als ehemaliger Vereinstrainer einen solchen Vorschlag machen konnte.
Was sind Ihre Hoffnungen für die letzte Saison als Bayer-Funktionär und was würden Sie als „gelungenen Abschluss“sehen?
VÖLLER Bei aller Euphorie und Liebe für den Fußball bin ich ein großer Realist. Wir wollen – und das wird schwer genug – wieder in die Champions League. Deswegen finde ich gut, dass Spieler wie zuletzt Kerem Demirbay das auch so klar formulieren und sich selbst Druck machen.
Wenn wir uns in einem Jahr wiedertreffen: Sitzen Sie dann eher im Gesellschafterausschuss von Bayer 04, sind Präsident beim DFB oder TV-Experte?
VÖLLER Das Amt beim DFB kann ich ausschließen. Aber es gibt da sicher noch ein paar andere Dinge, die ich machen könnte. Bis Ende des Jahres werde ich wohl eine Entscheidung getroffen haben. Vermutlich werde ich weiterhin im Fußball tätig sein. Allerdings nicht mehr in dieser extremen Form, mit dem Druck und der Verantwortung, wie ich es seit vielen Jahren mache.