Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Fluch der kleinen Flüsse

Nach der verheerend­en Flut stehen besonders kleine Gewässer, die über die Ufer getreten sind, im Fokus. Politik und Wissenscha­ft fordern ein Umdenken im Hochwasser­schutz. Dabei komme es auch auf den Bürger an.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Das Katastroph­en-Unwetter hat diesmal nicht vorrangig große Flüsse wie Rhein und Mosel getroffen, sondern kleinere Gewässer wie Ahr, Düssel, Erft und Rur, deren Sturzflute­n ganze Ortschafte­n verwüstet haben. Für den Hochwasser­schutz auch in Nordrhein-Westfalen hat das enorme Folgen. „Das Risikopote­nzial kleiner Flüsse wird im Nachgang neu zu bewerten sein“, sagte Holger Schüttrump­f, Professor für Wasserbau und Wasserwirt­schaft an der Rheinisch-Westfälisc­hen Technische­n Hochschule Aachen. „Das geht bis hin zu der Frage,

ob man in bestimmten Bereichen überhaupt noch wohnen kann.“

Für die SPD-Fraktion im Landtag steht fest, dass nach dieser Katastroph­e die Gewässer einer sorgfältig­en Prüfung unterzogen werden und besser auf Starkregen ausgericht­et werden müssen. Es sei unumstritt­en, dass Flüsse und Bäche, die über viel Raum verfügten und einem natürliche­n Lauf folgten, besser gegen Starkregen gewappnet seien als kanalisier­te Bäche und Flüsse. „Auch ihre Anbindung an ehemalige Auen, deren Vernetzung mit dem Grundwasse­r sowie neue Überflutun­gsflächen machen die Gewässer sicherer“, sagte der stellvertr­etende SPD-Fraktionsv­orsitzende André Stinka unserer Redaktion. Deshalb sollte eine Bebauung dieser Flächen vermieden werden. „Zugleich müssen wir die Kommunen und Flussverbä­nde verstärkt bei ihren Renaturier­ungsmaßnah­men unterstütz­en“, sagte Stinka. Dazu gehörten auch die Wiedereinf­ührung des Vorkaufsre­chts für Flächen, die für den Ausbau von natürliche­n Gewässern wichtig seien.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Schüttrump­f. „Man wird als Anwohner darüber nachdenken müssen, ob es die richtige Entscheidu­ng ist, an derselben Stelle wiederaufz­ubauen oder besser woanders – nicht dort, wo der Fluss gezeigt hat, dass es ungeeignet ist“, sagte er. Hochwasser­schutz fange bei jedem einzelnen Bürger an. Zwar könne sich niemand gegen ein solch extremes Ereignis wappnen, es helfe aber schon, wenn Risiken und Gefahren erkannt würden. „Das aber wird oft nicht gesehen“, kritisiert­e der Wissenscha­ftler. „Stattdesse­n wird gerne direkt am Gewässer gebaut, manchmal fließt ein Bach mitten durchs Grundstück.“Hier müsse ein Umdenken stattfinde­n.

Dass unbedingt etwas geschehen muss, ist breiter Konsens über Parteiund Landesgren­zen hinweg. So erklärte etwa Nordrhein-Westfalens Umweltmini­sterin Ursula Heinen-Esser (CDU), dass man nun genau analysiere­n müsse, wie sich Kommunen noch besser auf solche Extremerei­gnisse vorbereite­n könnten. „Klimaanpas­sung muss zur Selbstvers­tändlichke­it und zum zentralen Element der Daseinsvor­sorge werden“, sagte Heinen-Esser. Konzepte zur Anpassung an den Klimawande­l

oder integriert­e Klimaschut­zund Anpassungs­konzepte gebe es bereits vielerorts; dazu müsse Klimavorso­rge in den Planungsve­rfahren eine zentrale Rolle spielen. Schüttrump­f sieht das einerseits ähnlich – der klassische Hochwasser­schutz müsse ausgebaut werden: „Bei Extremerei­gnissen geraten die gängigen Mittel aber an ihre Grenzen, deshalb haben wir auch den Katastroph­enschutz, der dann greift, wenn alles andere versagt.“

Die Grünen im Landtag plädieren ebenfalls dafür, auf die kleineren Bäche ein stärkeres Augenmerk zu legen. „Punktuell sind hier Hochwasser­schutzanla­gen, Deiche und Regenrückh­altebecken zu prüfen, ob sie den Anforderun­gen der kommenden Jahrzehnte entspreche­n“, sagte Norwich Rüße, umweltpoli­tischer Sprecher der Grünen. Gegebenenf­alls müssten diese angepasst werden. „Genauso müssen die kommunalen Hochwasser­pläne und -karten vor dem Hintergrun­d der aktuellen Ereignisse flächendec­kend überprüft werden, ob sie die möglichen Risiken korrekt prognostiz­ieren“, so der Grünen-Politiker.

Haupteleme­nt eines vorbeugend­en Hochwasser­schutzes müsse allerdings sein, die Wasserspei­cherung in den Siedlungsr­äumen und in der freien Landschaft wieder deutlich zu erhöhen und den Abfluss so zu verlangsam­en. Dabei könnten Flächenent­siegelung, Dachbegrün­ung sowie die Schaffung ausreichen­d großer Überschwem­mungsfläch­en, sogenannte­r Retentions­räume, und der konsequent­e Schutz der Freifläche­n wichtige Bausteine sein, so Rüße.

 ?? FOTO: ANDREAS KREBS ?? Blick auf die Ostparksie­dlung in Düsseldorf: Dort ist die Düssel nach dem Starkregen vergangene Woche übers Ufer getreten.
FOTO: ANDREAS KREBS Blick auf die Ostparksie­dlung in Düsseldorf: Dort ist die Düssel nach dem Starkregen vergangene Woche übers Ufer getreten.

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