Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Der Fluch der kleinen Flüsse
Nach der verheerenden Flut stehen besonders kleine Gewässer, die über die Ufer getreten sind, im Fokus. Politik und Wissenschaft fordern ein Umdenken im Hochwasserschutz. Dabei komme es auch auf den Bürger an.
Das Katastrophen-Unwetter hat diesmal nicht vorrangig große Flüsse wie Rhein und Mosel getroffen, sondern kleinere Gewässer wie Ahr, Düssel, Erft und Rur, deren Sturzfluten ganze Ortschaften verwüstet haben. Für den Hochwasserschutz auch in Nordrhein-Westfalen hat das enorme Folgen. „Das Risikopotenzial kleiner Flüsse wird im Nachgang neu zu bewerten sein“, sagte Holger Schüttrumpf, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. „Das geht bis hin zu der Frage,
ob man in bestimmten Bereichen überhaupt noch wohnen kann.“
Für die SPD-Fraktion im Landtag steht fest, dass nach dieser Katastrophe die Gewässer einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden und besser auf Starkregen ausgerichtet werden müssen. Es sei unumstritten, dass Flüsse und Bäche, die über viel Raum verfügten und einem natürlichen Lauf folgten, besser gegen Starkregen gewappnet seien als kanalisierte Bäche und Flüsse. „Auch ihre Anbindung an ehemalige Auen, deren Vernetzung mit dem Grundwasser sowie neue Überflutungsflächen machen die Gewässer sicherer“, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende André Stinka unserer Redaktion. Deshalb sollte eine Bebauung dieser Flächen vermieden werden. „Zugleich müssen wir die Kommunen und Flussverbände verstärkt bei ihren Renaturierungsmaßnahmen unterstützen“, sagte Stinka. Dazu gehörten auch die Wiedereinführung des Vorkaufsrechts für Flächen, die für den Ausbau von natürlichen Gewässern wichtig seien.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt Schüttrumpf. „Man wird als Anwohner darüber nachdenken müssen, ob es die richtige Entscheidung ist, an derselben Stelle wiederaufzubauen oder besser woanders – nicht dort, wo der Fluss gezeigt hat, dass es ungeeignet ist“, sagte er. Hochwasserschutz fange bei jedem einzelnen Bürger an. Zwar könne sich niemand gegen ein solch extremes Ereignis wappnen, es helfe aber schon, wenn Risiken und Gefahren erkannt würden. „Das aber wird oft nicht gesehen“, kritisierte der Wissenschaftler. „Stattdessen wird gerne direkt am Gewässer gebaut, manchmal fließt ein Bach mitten durchs Grundstück.“Hier müsse ein Umdenken stattfinden.
Dass unbedingt etwas geschehen muss, ist breiter Konsens über Parteiund Landesgrenzen hinweg. So erklärte etwa Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU), dass man nun genau analysieren müsse, wie sich Kommunen noch besser auf solche Extremereignisse vorbereiten könnten. „Klimaanpassung muss zur Selbstverständlichkeit und zum zentralen Element der Daseinsvorsorge werden“, sagte Heinen-Esser. Konzepte zur Anpassung an den Klimawandel
oder integrierte Klimaschutzund Anpassungskonzepte gebe es bereits vielerorts; dazu müsse Klimavorsorge in den Planungsverfahren eine zentrale Rolle spielen. Schüttrumpf sieht das einerseits ähnlich – der klassische Hochwasserschutz müsse ausgebaut werden: „Bei Extremereignissen geraten die gängigen Mittel aber an ihre Grenzen, deshalb haben wir auch den Katastrophenschutz, der dann greift, wenn alles andere versagt.“
Die Grünen im Landtag plädieren ebenfalls dafür, auf die kleineren Bäche ein stärkeres Augenmerk zu legen. „Punktuell sind hier Hochwasserschutzanlagen, Deiche und Regenrückhaltebecken zu prüfen, ob sie den Anforderungen der kommenden Jahrzehnte entsprechen“, sagte Norwich Rüße, umweltpolitischer Sprecher der Grünen. Gegebenenfalls müssten diese angepasst werden. „Genauso müssen die kommunalen Hochwasserpläne und -karten vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse flächendeckend überprüft werden, ob sie die möglichen Risiken korrekt prognostizieren“, so der Grünen-Politiker.
Hauptelement eines vorbeugenden Hochwasserschutzes müsse allerdings sein, die Wasserspeicherung in den Siedlungsräumen und in der freien Landschaft wieder deutlich zu erhöhen und den Abfluss so zu verlangsamen. Dabei könnten Flächenentsiegelung, Dachbegrünung sowie die Schaffung ausreichend großer Überschwemmungsflächen, sogenannter Retentionsräume, und der konsequente Schutz der Freiflächen wichtige Bausteine sein, so Rüße.