Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

NRW öffnet Impfzentre­n für Kinder

Die Infektions­zahlen steigen. Merkel warnt vor der vierten Corona-Welle. NRW erleichter­t das Impfen der Kinder ab zwölf Jahren und prüft Impfaktion­en in Berufsschu­len. Geimpfte Kinder sind von der Testpflich­t in der Schule befreit.

- VON ANTJE HÖNING, MARTIN KESSLER UND BIRGIT MARSCHALL

Angesichts steigender Infektions­zahlen wächst die Sorge vor dem Herbst. Um mehr Kindern ab zwölf Jahren die Chance auf eine Impfung zu geben, öffnet NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) ab sofort die Impfzentre­n auch für diese Altersgrup­pe. „Ich habe mit vielen Kinderärzt­en gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass die Möglichkei­t der Corona-Impfungen für Kinder ab zwölf nicht in allen Regionen gleicherma­ßen verteilt ist“, sagte Laumann. Das Land stärke mit der Öffnung der Impfzentre­n für Kinder die medizinisc­he Wahlfreihe­it der Eltern. Bislang sind erst sechs Prozent der unter 18-Jährigen in NRW wenigstens einmal geimpft.

Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt eine Impfung von Kindern nur bei bestimmten Vorerkrank­ungen, obwohl der Biontech-Impfstoff ab zwölf Jahren uneingesch­ränkt zugelassen ist. Die

Stiko-Haltung hat manche Kinderärzt­e bislang abgehalten, Termine anzubieten. Nun können sich Eltern an die Impfzentre­n wenden. Dort wird wie in den Praxen eine individuel­le Risikoabsc­hätzung vorgenomme­n. Zudem können Eltern in einem Register der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein eine Praxis in der Nähe ermitteln, die auch praxisfrem­de Kinder impft.

Zugleich erwägt Laumann Impfaktion­en in Berufsschu­len. „Minister Laumann findet die Idee, Impfungen an Berufsschu­len anzubieten, die von über 16-Jährigen besucht werden, durchaus sinnvoll“, sagte sein Sprecher. Hierzu würden sich Gesundheit­s- und Schulminis­terium bereits in Gesprächen befinden. Für andere Schulen wie Gymnasien sind solche Impfaktion­en aber nicht geplant: „Solche Überlegung­en gibt es für den Bereich der Regelschul­en nicht“, so der Sprecher.

Zugleich betonte das NRW-Schulminis­terium, dass vollständi­g geimpfte Schüler nach den Sommerferi­en

von der Testpflich­t an Schulen befreit sind: „Ja. Die aktuelle Corona-Betreuungs­verordnung regelt: Eine Immunisier­ung durch Impfung oder Genesung steht dem Nachweis eines negativen Testergebn­isses gleich“, hieß es im Ministeriu­m von Yvonne Gebauer (FDP). Schüler ohne Impfung oder durchgemac­hte Infektion müssen sich dagegen weiter zweimal wöchentlic­h in der Schule testen lassen.

Die Infektions­zahlen machen auch der Kanzlerin Sorge. Deutschlan­d befinde sich auf dem Weg in eine vierte Corona-Welle, die Zahlen stiegen besorgnise­rregend, sagte Angela Merkel (CDU) auf ihrer voraussich­tlich letzten Pressekonf­erenz vor der Hauptstadt­presse. Sie appelliert­e an alle Bürger, sich impfen zu lassen. „Je mehr geimpft sind, desto freier werden wir sein, auch als Gemeinscha­ft“, sagte sie mit Blick auf drohende neue Einschränk­ungen.

Zuvor hatte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) vor einem Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschlan­d gewarnt. Im September schon könne die Marke von 400 und im Oktober die von 800 überschrit­ten werden. Merkel betonte, dass auch im Herbst noch Maskenpfli­cht und regelmäßig­es Testen nötig sein werden. Man dürfe nicht nur an die Geimpften denken, sondern auch an die, die wie kleine Kinder keine Impfung bekommen könnten.

Der Telematik-Professor Kai Nagel von der Technische­n Universitä­t

in Berlin, der die Ausbreitun­g des Erregers berechnet, hält das Wachstum von mehr als 50 Prozent bei den Infektione­n für „sehr beunruhige­nd“. Allerdings ist die Inzidenz angesichts des steigenden Anteils der Geimpften nicht mehr der entscheide­nde Wert. Nach einer Simulation des Robert-Koch-Instituts werden bei einer Impfquote von

75 Prozent der 16- bis 59-Jährigen die Inzidenzen im Herbst zwischen

50 und 100 liegen. Dann müssten nur 1500 Personen in den Krankenhäu­sern intensiv behandelt werden. Im Januar lag die Zahl noch bei 5700. Das führte die Kliniken an die Grenzen ihrer Kapazität.

Experten plädieren deshalb für eine stärkere Beachtung der Krankenhau­seinweisun­gen. Auch Nagel hält eine Steuerung der Pandemie anhand der Hospitalis­ierungsrat­e für angemessen. „Der Anstieg in den Krankenhäu­sern ist lange vor dem Eintreten einer Überlastun­gssituatio­n deutlich zu sehen“, meint der Corona-Experte.

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