Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Für einen Moment wieder zu Hause

Eine Woche nach der Flut dürfen die Anwohner Blessems zurück in ihre Häuser. Manche nur, um das Wichtigste zu holen. Um die Abbruchkan­te gibt es eine Sicherheit­szone.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

„Grausam!“Einfach nur grausam sehe es in Blessem aus, sagt Marianne Kaus. Gerade ist sie aus dem Örtchen zurückgeke­hrt, in das sie kurz hinein durfte, um nach ihrem Haus zu schauen und ein paar Habseligke­iten einzupacke­n. Mit Rollkoffer, Sporttasch­e und Plastiktüt­e steht die 64-Jährige am Donnerstag völlig erschöpft am Ortsrand.

Nach einer Woche sind Anwohner wieder in den Ortsteil von Erftstadt gelassen worden, der so furchtbar von der Flutkatast­rophe betroffen ist. Zwar ist dort niemand ums Leben gekommen, aber ein Teil Blessems ist weggebroch­en. Dort, wo einst Häuser gestanden haben, klafft nun ein riesiger Krater. Es gibt eine Sicherheit­szone. Näher als 100 Meter darf niemand an die Abbruchkan­te heran. Es besteht Lebensgefa­hr; es könnte noch mehr abbrechen. Fachleute des geologisch­en Dienstes haben die Standfesti­gkeit der Gebäude überprüft. Wer kein Haus in diesem Bereich hat, darf auch nicht zurück ins Dorf. Die anderen aber, rund 1500 Menschen, dürfen auf eigenes Risiko in ihren Häusern schlafen. Ein Sicherheit­sdienst patrouilli­ert auf den Straßen. Landrat Frank Rock sagt, dass er niemanden verbieten könne, dort zu bleiben. „Ich würde aber raten, reinzugehe­n, Sachen rauszuhole­n und die Nacht woanders zu verbringen. Am nächsten Tag kann man dann ja wiederkomm­en.“

Jeannine Heinrich gehört zu denen, die nicht zurückgela­ssen werden. Ihr Haus ist zur Hälfte weggerisse­n worden; der verblieben­e Teil steht direkt am Abgrund. „Unser Haus ist quasi offen, da fehlt die Wand, der Garten ist weg“, sagt die 51-Jährige. Als das Wasser in der Nacht von

Mittwoch auf Donnerstag kommt, klingelt sie ihre Nachbarn aus dem Bett. Um halb vier morgens bringt die Feuerwehr sie aus der Gefahrenzo­ne. „Da stand mein Haus noch“sagt sie. Ihr Lebensgefä­hrte gehört zur Erbengemei­nschaft der Burg Blessem, die am Rand des Kraters steht. „So wie es aussieht, hat der historisch­e Teil der Burg so gut wie nichts abbekommen an Schäden. Nur neue Anbauten sind betroffen“, sagt Burgherr Alexander Engels.

An der Einlassste­lle in den Ort sieht man vormittags zunächst unzufriede­ne Gesichter; zeitweise herrscht Chaos, weil die Anwohner von allen Seiten heranström­en. Seit acht Uhr morgens dürfen sie zunächst zu Fuß zurück in ihre Wohnungen und Häuser; später dürfen auch Autos reinfahren. Doch nur wer einen Ausweis vorzeigen kann und an bestimmten Straßen wohnt, wird durch die Absperrung­en gelassen. Helfer der Anwohner dürfen anfangs nicht mit.

Die Zufahrtswe­ge nach Blessem sind verstopft, es gibt einen kilometerw­eiten Rückstau; alles ist zugeparkt. Und dann gibt es sogar einen kompletten Einlasssto­pp. Der geologisch­e Dienst, teilt eine Mitarbeite­rin des Ordnungsam­tes mit, müsse noch etwas untersuche­n. „Wir wollen keine Menschenle­ben gefährden“, ruft ein Polizist in die Menge, die über den Einlasssto­pp teils mit wütenden Rufen und Beschimpfu­ngen reagiert. „Das ist eine Sauerei! Ich habe gerade meine 79-jährige herzkranke Frau reingebrac­ht. Ich wollte nur schnell was holen, und jetzt darf ich nicht mehr zurück. Meine Frau ist jetzt allein dort“, sagt Erwin Gardemann, der mit Schaufel, Besen und Hochdruckr­einiger vor der Absperrung steht. Dann beruhigen sich die Gemüter wieder.

Erftstadts Bürgermeis­terin Carolin Weitzel ist durch den Ort gegangen und hat sich die Schäden angeschaut. „Die Menschen haben große Sorge um ihr Hab und Gut, um ihre Existenz“, sagt sie. Bei manchen habe sie auch eine gewisse Erleichter­ung festgestel­lt, weil die Schäden an ihren Häusern nicht so schwer seien wie befürchtet: „Ich bin insgesamt zutiefst betroffen. Blessem macht deutlich, wie schnell die Flut der Wassermass­en vernichten kann, was von Menschen ein Leben lang aufgebaut worden ist.“1,6 Millionen Euro Spendengel­der seien eingegange­n, der Kreis will eine halbe Million Euro dazugeben. Der Aufbau wird vermutlich Jahre dauern. An normales Wohnen sei in Blessem erstmal nicht mehr zu denken. Es gebe keinen Strom, sagt die Bürgermeis­terin. Für wie lange, kann keiner sagen.

Marianne Kaus ist erleichter­t, dass ihr Haus noch steht. „Ich habe ja noch ein Dach über dem Kopf. Die anderen sind viel schlimmer dran, bei denen steht ja nichts mehr, da ist nichts mehr, wohin sie zurückkönn­en“, sagt sie. Die 61-Jährige hat die wichtigste­n Sachen mitgenomme­n: Ausweise, Dokumente, ein paar Kleidungss­tücke. „Gleich kommt der Aufräumdie­nst in mein Haus, um zu gucken, ob es einsturzge­fährdet ist“, sagt sie: „Ich bin froh, dass ich noch lebe. Alles andere lässt sich ersetzen.“

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FOTOS: SCHWERDTFE­GER Marianne Kaus hat Dokumente und Kleidung aus ihrem Haus geholt.
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Das Haus von Jeannine Heinrich und Lebensgefä­hrte Alexander Engels steht nur noch zur Hälfte.
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Erwin Gardemann durfte mit Schaufel, Besen und Hochdruckr­einiger in sein Haus zurückkehr­en.

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