Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Merkels Sehnsucht nach Effizienz

Bei ihrer letzten SommerPres­sekonferen­z stellt sich die Bundeskanz­lerin allen möglichen Fragen – und gibt darin einen kleinen Einblick in die Vergangenh­eit und Zukunft.

- VON TIM BRAUNE

Angela Merkel lässt sich nur selten auf dem falschen Fuß erwischen. Bei ihrer letzten Sommerpres­sekonferen­z passiert es. Die Kanzlerin wird gefragt, wo sie am Wahlabend um 18 Uhr sein werde. Merkel stutzt. „Ich werde am 26. September schon in Verbindung mit der Partei sein, die mir nahe steht“, beginnt sie, um eilig nachzuschi­eben, „und deren Mitglied ich bin!“

Die CDU steht ihr also nur noch nahe? Jene Partei, deren Vorsitzend­e Merkel 18 Jahre lang war? Mit der sie 2005 Gerhard Schröder besiegte, als erste Frau ins Kanzleramt einzog und drei weitere Wahlen in Folge gewann? Das ist an diesem Donnerstag der wahrschein­lich überrasche­ndste Einblick, den eine ansonsten gewohnt disziplini­erte Merkel in ihr Innenleben gewährt.

Im Wahlkampf will sie trotzdem noch einige Auftritte absolviere­n, um Armin Laschet zu unterstütz­en, ist aus der CDU zu hören. Den NRW-Ministerpr­äsidenten und Kanzlerkan­didaten behandelt Merkel auffallend pfleglich. Das war nicht immer so. In der Pandemie rüffelte sie ihn einmal bei „Anne Will“vor Millionenp­ublikum. Jetzt weist sie die Unterstell­ung zurück, Laschet wisse nicht, was exponentie­lles Wachstum bei Corona-Zahlen bedeute. Auch beim Klimaschut­z stellt sie sich vor den Aachener: „Ich sehe da keinen Zickzackku­rs.“Beim unionsinte­rnen Streit um die Aufteilung von CO2-Kosten zwischen Mietern und Vermietern teile sie Lachets Meinung, der Vermieter beteiligen will, zu „100 Prozent“.

Ansonsten vermittelt die 67-Jährige trotz des nahenden Abschieds keinerlei Amtsmüdigk­eit. Eine vierte Corona-Welle baut sich auf, die Folgen der Hochwasser­katastroph­e beschäftig­en Bund und Länder: „Ich werde und bin gefordert. Das wird sich bis zum letzten Tag meiner Amtszeit fortsetzen.“

Merkel kennt das. Sie war immer „Krisenkanz­lerin“. Klima, Euro, Flüchtling­e: „Die Welt ist, wie sie ist. Ein Leben ohne Krisen ist auch einfacher. Wenn sie da sind, müssen sie bewältigt werden.“Ob ihr das beim Klimaschut­z gelungen ist, darüber scheiden sich die Geister. Die Ex-Umweltmini­sterin war einmal internatio­nale Vordenkeri­n, bis ihr Engagement nachweisba­r erlahmte.

„Mein politische­s Leben ist gekennzeic­hnet von der Arbeit für Maßnahmen gegen den Klimawande­l“, verteidigt sie sich. Bei ihrem Amtsantrit­t 2005 habe der Ökostroman­teil bei zehn Prozent gelegen, heute stehe Deutschlan­d bei über 40 Prozent: „Wir sollten nicht so tun, als sei nichts passiert.“Merkel räumt aber Fehler ein. Deutschlan­d und andere Nationen hätten zu wenig getan, um die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei oder 1,5 Grad gemessen am vorindustr­iellen Zeitalter zu drücken, so wie es der Pariser Klimavertr­ag vorsieht: „Deshalb muss das Tempo angezogen werden.“

Neue Klimavertr­äge muss Merkels Nachfolger oder Nachfolger­in im Kanzleramt aushandeln. Ist sie wehmütig? Da lässt sich die Pfarrersto­chter aus der Uckermark nicht in die Seele schauen: „Was man vermisst, merkt man meist erst, wenn man es nicht mehr hat.“Als sie in Washington den Ehrendokto­r der Johns-Hopkins-Universitä­t erhielt, war sie auskunftsf­reudiger. Sie wolle nach dem Ende ihrer Kanzlersch­aft erst einmal keine Einladunge­n annehmen, viel schlafen und lesen.

Für viele Mädchen und Frauen ist die Dauerkanzl­erin zum Vorbild geworden. Merkel selbst tat sich stets schwer, sich als Feministin zu bezeichnen. Bei der Gleichbere­chtigung in der Wirtschaft liege noch einiges im Argen: „Das habe ich mir 1990, als ich in die Politik ging, echt leichter vorgestell­t.“Bei der Frage, was Männer und Frauen unterschei­det, gerät Merkel noch einmal ins Schwitzen. Dafür liefert sie eine Antwort ab, die in vielen Rückblicke­n wieder auftauchen dürfte: „Tendenziel­l gibt es bei Frauen eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz.“Heerschare­n von Bundesmini­stern werden das bestätigen.

Und wie viel Ostdeutsch­land steckt noch in ihr? Sie habe 34 Jahre in der DDR verbracht. „Ohne Herkunft keine Zukunft. Ich bin mit mir sehr im Reinen, mit meinem Leben und meiner Biografie.“Helmut Kohl war 5869 Tage im Amt. Diesen Rekord könnte Merkel brechen, wenn sie bis zum 17. Dezember geschäftsf­ührend im Amt bleibt.

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