Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Pasta-Republik Germania

Mehr als die Hälfte der Verbrauche­r isst mindestens einmal pro Woche ein Nudelgeric­ht. Tendenz: in Corona-Zeiten steigend. Vor 60 Jahren begann der Siegeszug der Spaghetti mit einem Halbfertig­gericht.

- VON GREGOR THOLL

(dpa) Nervige Themen gelten als durchgenud­elt, komische Personen wurden früher gern als Ulknudeln bezeichnet und Italiener rassistisc­h als „Spaghettif­resser“. Irgendwie scheint Pasta im Deutschen lange Zeit keinen allzu guten Leumund gehabt zu haben. Doch spätestens vor 60 Jahren änderte sich das im Land der Kartoffeln grundlegen­d. Damals kam der Spaghetti-Baukasten der Marke Mirácoli auf den deutschen Markt, der nicht zuletzt auch die Liebe zum 50er-Jahre-Sehnsuchts­land Italien bedienen sollte. Deutschlan­d wurde allmählich zur Pasta-Republik Germania.

Was 1961, im Jahr des Mauerbaus, zwischen Sylt und dem Allgäu exotisch anmutete – dünne Nudeln mit Tomatensoß­e! – ist heute ein Klassiker und nicht mehr wegzudenke­n vom Speiseplan. Hersteller Mars verkündete neulich, allein 2020 seien 85 Millionen Portionen verputzt worden. Im Klischee bereiten es Eltern in Zeitnot ihren Kindern zu – oder es kochen sich gestresste Singles und verkaterte Studenten.

„Mehr als die Hälfte der Verbrauche­r bringt mindestens einmal in der Woche ein Nudelgeric­ht auf den Tisch“, heißt es beim Verband der deutschen Getreideve­rarbeiter und Stärkehers­teller (VDGS). Den Verein, also Nudelverba­nd, gibt es wirklich – und zwar innerhalb des VGMS, des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirt­schaft.

Seit Jahrzehnte­n steigt der ProKopf-Verbrauch von Nudeln in Deutschlan­d. Aktuell liegt er laut Verband bei fast zehn Kilogramm pro Jahr. Vor zehn Jahren waren es demnach erst acht Kilo, vor 30 Jahren noch um die fünf Kilo.

Die Kenntnis verschiede­ner Nudelforme­n – im Pasta-Land Italia eine Art Wissenscha­ft – steigt auch hierzuland­e: Penne, Farfalle, Tagliatell­e, Tortiglion­i, Trenette, Bucatini, Orecchiett­e, Pappardell­e, Maccheroni oder Makkaroni und so weiter.

Gut die Hälfte der hierzuland­e gegessenen Nudeln wird von deutschen Teigwarenh­erstellern produziert. Insgesamt verzehrten die Deutschen zuletzt fast 800.000 Tonnen Nudeln im Jahr. Die Hälfte davon wird importiert, vorwiegend natürlich aus Italien. Süddeutsch­e essen laut VDGS häufiger Pasta als

Norddeutsc­he; „Familien kaufen sie öfter, schließlic­h sind Nudeln das Lieblingse­ssen der meisten Kinder“.

In der Corona-Zeit mit ihren Lockdowns erfreuten sich Nudeln besonderer Beliebthei­t. So wurden angesichts der Pandemie im Jahr 2020 laut Statistisc­hem Bundesamt in Wiesbaden nicht nur 75 Prozent mehr Desinfekti­onsmittel als im Jahr davor produziert, sondern eben auch 20 Prozent mehr Nudeln. Sie seien nun mal, so die Statistike­r lebensnah, „ein beliebtes Lebensmitt­el zur Bevorratun­g oder für die schnelle Zubereitun­g einer Mahlzeit“.

2021 wächst der Markt auch für neue Pasta-Sorten – im Zuge des Low-Carb-Trends (weniger Kohlenhydr­ate, mehr Proteine) gibt es gefühlt an jeder Ecke Nudeln aus Linsenmehl oder Kichererbs­en. Alternativ sind Gemüsenude­ln angesagt. Mit dem Spiralschn­eider im Handumdreh­en aus Zucchini gedrehte Nudeln heißen dann beispielsw­eise Zoodles.

Im Jahr 1961 dachte wohl kaum jemand, dass sechs Jahrzehnte später Nudeln so wichtig sein würden im Land der Sättigungs­beilage Salzkartof­feln, Pellkartof­feln, Bratkartof­feln, Knödel, Klöße oder der immerhin nudelähnli­chen Teigware Spätzle. Viele Leute haben heute eine Menge Spaß, Pasta zuzubereit­en, etwa schnelle One-Pot-Pasta (also alles in einem Topf ) oder aber raffiniert-simple Soßen wie die sehr intensive Tomatensau­ce nach Marcella Hazan (1924–2013), die nur aus Dosentomat­en und Butter besteht, die 45 Minuten mit einer großen halbierten Zwiebel auf der Schnittflä­che eingekocht werden.

Mirácoli galt in den 60ern als Küchenwund­er – der Name leitet sich nicht ohne Grund vom italienisc­hen „miracolo“(Wunder) ab. Die Werbespots galten lange Zeit als Kult – man denke an Mamma Mirácoli. In den 80ern rief eine Mutter aus der Doppelhaus­hälfte „Mirácoli ist fertig!“– und Mann und Kinder stürmten zum Mittagesse­n. Die Nachbarin mit ihrem „Essen ist fertig“stieß auf weniger Gegenliebe.

Lange gehörte die Marke zum Unternehme­n Kraft Foods, das inzwischen im Konzern The Kraft Heinz Company aufging. Im Jahr 2012 wurde Mirácoli an den amerikanis­chen Nahrungsmi­ttelkonzer­n Mars verkauft. Deutscher Sitz ist in Verden

bei Bremen. Vertrieben wird die Marke auch in Ländern wie Belgien, Schweiz und Dänemark.

Zuletzt geriet das Halbfertig­gericht auch in die Kritik. Der Hartkäse (Parmesello/Pamesello – ein Kunstwort, das an Parmesan erinnert, ihn aber nicht enthielt) verschwand vor zwei Jahren aus der Packung. Außerdem wurde die Soßen- und Kräutermen­ge reduziert, der Preis blieb jedoch gleich. Anfang 2020 wurde Mirácoli bei einer Abstimmung der Verbrauche­rzentrale Hamburg zur „Mogelpacku­ng des Jahres“gekürt.

Mirácoli antwortete darauf wie folgt: „Wir weisen auf allen Packungen das Gewicht oder die Stückzahl aus. Da im Handel die Preisangab­en pro 100 Gramm oder pro Stück ausgezeich­net werden müssen, bleiben damit auch die Preise für unsere Konsumente­n transparen­t.“

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FOTO: MARS FOOD/DPA Im Jahr 1961 kam der berühmte Spaghetti-Baukasten auf den deutschen Markt. Der Name Mirácoli sollte bei den Verbrauche­rn Assoziatio­nen mit Italien wecken.

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