Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ärger auf dem Wein-Olymp

Die beiden berühmtest­en Weingüter in Saint-Émilion wollen keine Auszeichnu­ng mehr, weil sie mit den Bewertungs­kriterien nicht einverstan­den sind.

- VON KNUT KROHN

Helle Aufregung in der Welt der Weinkenner. In Saint-Émilion wird mit einer ehernen Tradition gebrochen. Die beiden berühmtest­en Hersteller in dem kleinen Städtchen im Südwesten Frankreich­s verzichten auf eine der renommiert­esten Auszeichnu­ngen, die es in den Augen der Kenner zu vergeben gibt. Die Weingüter Ausone und Cheval Blanc haben überrasche­nd verkündet, dass sie nicht an der nur alle zehn Jahre vergebenen Saint-Émilion-Klassifizi­erung teilnehmen werden.

Offizielle­r Grund: Sie seien mit den Bewertungs­kriterien nicht mehr einverstan­den, schreibt Pierre Lurton, Direktor von Château Cheval Blanc, in einem Brief, der in diesen Tagen in den einschlägi­gen Kreisen die Runde macht. Das aber ist wohl nur ein Teil der Wahrheit, denn inoffiziel­l geht es wohl auch um Eifersücht­eleien, Neid und einen Streit, der längst nicht mehr nur hinter den Kulissen tobt. Und es geht um sehr viel Geld. Eine Flasche der höchsten Qualität Saint-Émilion Premier Grand Cru Classé „A“kann Spitzenpre­ise

von deutlich über 1000 Euro erzielen. Die beiden abtrünnige­n Weingüter Ausone und Cheval Blanc sind die beiden einzigen Häuser, die seit der ersten Vergabe in den 50er-Jahren immer mit diesem Siegel ausgestatt­et wurden.

Nun aber monieren die beiden Hersteller, dass nach der letzten Qualitätsp­rüfung 2012 ein bedenklich­er und „tiefgreife­nder Wandel in der Philosophi­e der Klassifizi­erung“stattgefun­den habe. Kritisiert wird von ihnen vor allem, dass das Marketing der Weine inzwischen zu sehr in den Vordergrun­d gerückt werde. In die Bewertung fließe nun ein, wie häufig ein Wein aus Saint-Émilion in Kinofilmen auftaucht, ob er von Stars getrunken wird und wie hoch die Anzahl der Follower eines Gutes in den sozialen Netzwerken ist.

Das ursprüngli­che Produkt selbst stehe nicht mehr in Mittelpunk­t des Bewertungs­systems, so der harsche Einwand in dem Brief. Doch der Wein lebe nicht von der Werbung, sondern von seiner ihm eigenen Identität, einer Jahrhunder­te alten Kultur und der einzigarti­gen Kunst der Herstellun­g, die über Generation­en weitergege­ben wird.

„Wir respektier­en natürlich ihr Recht, sich zurückzuzi­ehen“, erklärte ein überrascht­er Franck Binard, Chef des Conseil des Vins de Saint-Émilion, „wir bedauern diesen Schritt aber sehr“. Gleichzeit­ig verteidigt er allerdings in dem

Wein-Magazin „Decanter“den gegenwärti­gen Bewertungs­prozess für die Auszeichnu­ng als angemessen und transparen­t.

Unter der Hand wird allerdings auch gemunkelt, dass sich die beiden Platzhirsc­he über die Konkurrenz im eigenen Revier geärgert haben könnten. Denn mit Château Angélus und Château Pavie wurden vor zehn Jahren zwei Weingüter in den Olymp der Premier Grand Cru Classé „A“gehoben, der vorher ihnen vorbehalte­n war.

Insider sind sich allerdings einig, dass sich der Abschied der Weingüter Ausone und Cheval Blanc nicht negativ auf deren Ruf und Umsatz auswirken werde. Die beiden Hersteller spielten in einer eigenen Liga, da sei eine solche Auszeichnu­ng nicht wirklich notwendig, heißt es. In Mitleidens­chaft gezogen werden könnten allerdings die kleineren, unbekannte­ren Weingüter in Saint-Émilion. Das sei so, erklärt ein Kenner der Szene, als würden in einem Tennisturn­ier die beiden Superstars Rafael Nadal und Novak Djokovic in der Endrunde plötzlich aussteigen, weil ihnen die Regeln nicht mehr passten. Das Turnier würde unweigerli­ch an Qualität und auch am Interesse der Zuschauer verlieren.

Die Qualität des Produkts stehe nicht mehr in Mittelpunk­t der Auszeichnu­ng,

so der Einwand

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FOTO: CHRISTIAN GUY/DPA Die Altstadt von Saint-Émilion ist Unesco-Weltkultur­erbe.

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