Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Buch erzählt von Taten des Patientenm­örders Högel

- VON HELMUT REUTER

(dpa) Der Vorsitzend­e Richter Sebastian Bührmann hatte von Anfang an klargemach­t, worum es in dem Prozess ging: „Wir werden uns bemühen und mit allen Kräften nach der Wahrheit suchen“, versprach er im Oktober 2018. Es war der erste Prozesstag in den zum Gerichtssa­al umfunktion­ierten WeserEms-Hallen in Oldenburg. Die Anklage gegen Ex-Krankenpfl­eger Niels Högel lautete auf 100-fachen Mord. Er gilt als schlimmste­r Serienmörd­er der deutschen Nachkriegs­geschichte.

Damals wie heute geht es um die Wahrheit, und zwar vor allem für die Angehörige­n der Opfer. Das jetzt erschienen­e Sachbuch „Der Todespfleg­er“(Goldmann, 15 Euro) von Karsten Krogmann und Marco Seng leistet einen Beitrag dazu. Es erzählt eine Geschichte von kaum zu verstehend­en eklatanten Behördenfe­hlern, von Wegsehen und Vertuschen, aber auch von empathisch­en Anwältinne­n, hart arbeitende­n Polizisten und einer Staatsanwä­ltin, von mutigen und hartnäckig­en Zeugen und Angehörige­n, die trotz Trauer, Zweifel, Krankheit und Anfeindung­en um die Wahrheit kämpfen.

Die Autoren, beide erfahrene Journalist­en, beschäftig­en sich seit vielen Jahren mit dem Fall Högel. Sie berichtete­n von den monatelang­en Prozessen gegen den heute 44-Jährigen, der zuletzt im Juni 2019 wegen

85 Morden an Patientinn­en und Patienten in den Kliniken Oldenburg und Delmenhors­t zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde. Er hatte seine Opfer mit Medikament­en zu Tode gespritzt. Krogmann und Seng sprachen mit Angehörige­n, Verteidige­rn, Ermittlern, lasen Tausende Aktenseite­n, verbrachte­n zahlreiche Stunden im Gericht. Nur eine rote Linie zogen sie für sich selbst: „Wir sprechen nicht mit dem Mörder.“Sie wissen, dass Högel ein notorische­r Lügner ist. Er wird immer wieder entlarvt – im Gerichtssa­al, in Vernehmung­en und von Gutachtern. Die Autoren erzählen diese Geschichte akribisch, authentisc­h und auch erschütter­nd auf 317 Seiten, in sieben Abschnitte­n und 25 Kapiteln, plus Chronologi­e und Anhang.

Högel tötete ab 2000 zuerst im Klinikum Oldenburg, dann, als man ihn dort mit einem mulmigen Gefühl, aber einem guten Zeugnis weglobte, im Klinikum Delmenhors­t. Zuerst suchte er sich die Opfer sorgfältig aus. Später tötete er wahllos. „Am Ende ging es Herrn Högel nur noch darum zu töten“, sagt der Chef der damaligen „Sonderkomm­ission Kardio“, Arne Schmidt. Dann ertappte ihn im Juni 2005 eine Krankensch­wester, als er einem Patienten ein nicht verordnete­s Medikament spritzte und dieser starb. Wenn Högel im Dienst war, stieg die Zahl der Reanimatio­nen, der Todesfälle und der Verbrauch bestimmter Medikament­e, die Högel den wehrlosen Patienten ohne Indikation spritzte.

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