Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Zwei Jahre zwischen Hoffnung und Trauma
Zwei Jahre sind seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vergangen. Die Geflüchteten haben im Ukrainezentrum am Hackenberg einen Ort der Sicherheit und Begegnung geschaffen.
REMSCHEID „Der Krieg gegen die Ukraine ist für uns keine Statistik, mehr als nur die Zahlen der Toten. Es ist ein Akt des Terrors“, sagt Nataliia Ustich. Sie ist eine der leitenden Organisatorinnen im Ukrainezentrum am Hackenberg der Diakonie, die die Einrichtung bereits rund zwei Monate nach Kriegsbeginn an der Max-von-Laue-Straße gründete. Heute blickt Ustich zurück auf zwei Jahre Arbeit in dem Zentrum, zwei Jahre, in denen sie sich erst selbst integrieren musste und dann anderen dabei half.
Es seien zwei Jahre voller Tatendrang gewesen, sagt sie, aber auch des Wiedererlebens der Kriegsschrecken. In Bildern, in den Medien, in Gesprächen mit Freunden und Verwandten, die nicht geflohen seien. Solch erschreckende Bilder sehen auch die zahlreichen Menschen, die das Zentrum zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen hatte. Als Videos von Bombeneinschlägen in den Heimatstädten gezeigt werden, Bilder von Kindern, die in Bahnstationen schlafen müssen oder die ihre Angst vorm Tod äußern, erklingt das erste Schluchzen der Betroffenen im Publikum. „Ich habe heute nicht jeden eingeladen“, betont Ustich in einem Gespräch mit der Redaktion:
„Weil ich weiß, dass die Bilder, die wir zeigen, retraumatisierend sein können.“
Und doch ist die junge Frau gefasst, wenn sie spricht. Mit den anderen Engagierten des Zentrums hat sie in den vergangenen Jahren zahlreiche Angebote organisiert. Neben Veranstaltungen, in denen sich Menschen aller Nationen kennenlernen können, wie das Sprach-Café, oder einen Lern- und Freizeitraum für Kinder, in dem unter anderem ihr 14-jähriger Sohn Informatik und Programmieren unterrichtet. „Er hat das in der Ukraine gelernt, seit er acht Jahre alt war“, erklärt sie, warum er in dem jungen Alter bereits programmieren könne. Schnell wird klar: Auch das ist ein Beispiel kultureller Unterschiede zwischen Ukrainern und Deutschen, wie die
Engagierten des Zentrums berichten. Und es sei auch eine Herausforderung in der Integrationsarbeit. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Ukrainer durchaus einen stärkeren Leistungsanspruch haben als wir Deutschen. Viele Kinder etwa werden mit dem Anspruch erzogen, später High Performer zu werden“, berichtet Andreas Bunge, der das Zentrum leitet.
Ironischerweise sei das auch bei der Arbeitsvermittlung Erwachsener ein Problem. „Wir Ukrainer wollen arbeiten, aber viele sind sehr enttäuscht, wenn sie erfahren, dass ihr Abschluss hier nur mit vielen bürokratischen Hürden oder sogar gar nicht anerkannt wird“, sagt Ustich. Denn viele Menschen aus der Ukraine hätten hohe akademische Abschlüsse, auch unter Frauen herrsche eine hohe Akademikerquote. „Wir wollen natürlich genau das verhindern, dass solche Fachkräfte am Ende weit unter ihrem beruflichen Niveau feststecken. Denn das macht auch was mit der Psyche“, ergänzt Bunge.
Eine Errungenschaft der Arbeit des Zentrum sei daher, dass mittlerweile eine Kooperation mit der Arbeitsagentur zustande gekommen sei, die die Arbeitsvermittlung erleichtere. Auch könnten Ukrainer mittlerweile einsehen, welche Abschlüsse ukrainischer Universitäten in Deutschland anerkannt würden. „Es ist so frustrierend, diese ganzen klugen und hoch gebildeten Menschen bei uns zu haben, die nicht in ihrem Beruf arbeiten dürfen. Und gleichzeitig haben wir enormen Fachkräftemangel“, ärgert sich Bunge:
„Das betrifft zum Beispiel viele Erzieherinnen, Lehrerinnen und Pädagoginnen.“
Auch in der Zukunft will das Ukrainezentrum ein Ort der Sicherheit und der Integration für die Kriegsgeflüchteten bleiben. Denn: „Die Ukrainer, die wieder zurückwollten, sind etwa nach einem Jahr wieder zurück gereist. Die, die jetzt noch da sind, wollen bleiben“, sagt Olena Nalyvaiko. Auch sie ist aus der Ukraine geflüchtet und engagiert sich in dem Zentrum am Hackenberg. Doch das befinde sich derzeit durchaus in einem Wandel, wirft Bunge ein: „Wir merken, dass jetzt so langsam die Phase kommt, wo die Integration erst richtig anfängt. Vorher hieß es erst mal ankommen, sich sammeln, verarbeiten. Und jetzt kommen wir in die Phase, wo sich viele Ukrainer neu orientieren müssen und sich fragen: Was fange ich jetzt mit meinem Leben an?“
Besser integriert sind seiner Meinung nach eindeutig die Frauen: „Hier im Zentrum sind quasi nur Frauen. Wenn ich mit Männern gesprochen habe, waren da oft auch noch größere Hemmungen, zu zeigen, wie sehr der Krieg sie belastet. Vielleicht ist ein kultureller Unterschied, dass es schon noch ein anderes Rollendenken gibt als bei uns, in dem der Mann sich nicht verletzlich zeigen kann.“Ustich sieht das allerdings anders: „Da muss ich wirklich widersprechen. Ukrainer haben nicht dieses veraltete Rollenbild, dass Frauen schwach sind und alleine zu Hause den Haushalt schmeißen. Viel eher ist es so, dass sowohl Männer und Frauen arbeiten gehen, weil es nicht anders geht. Und die Frauen müssen trotzdem den Haushalt machen und die Kinder versorgen. Ukrainische Frauen sind sehr stark.“
Die größte Herausforderung bei der Integration ist ihrer Meinung nach: „Die Bürokratie. Alles dauert lange, das ist frustrierend. In Deutschland geht alles nur mit den richtigen Dokumenten. In der Ukraine geht es mehr darum, was du in der Praxis kannst.“Und doch sagt sie: „Deutschland ist so ein offenes und tolerantes Land. Die ganze Hilfe, die wir hier erhalten, habe ich so nicht erwartet.“