Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Remscheider gedenken der Naziopfer
Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger haben in Lüttringhausen gemeinsam mit Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz bei einer Gedenkfeier an die deportierten Zigeuner vom Blaffertsberg erinnert.
LÜTTRINGHAUSEN „Habt Ihr diesen braunen Dreck gesehen?“Der Mann am Rande der Gedenkfeier in Lüttringhausen ist außer sich. Am Wochenende fand er ein Flugblatt in seinem Briefkasten. Rechtsextreme rufen zu einer Demonstration am neuen Flüchtlingsheim im ehemaligen Dorint-Hotel am Jägerwald auf. Wieder wird Stimmung gegen Menschen gemacht. So wie damals, als es gegen die „Zigeuner“ging, bis sie unter den Augen der Remscheider nach Auschwitz deportiert wurden. Das war am 2. und 3. März 1943.
Am Montag sind Nachfahren der Toten, der Verein Gedenk- und Bildungsstätte Pferdestall, Ratsmitglieder, Musiker und zwei Schulklassen des Leibniz-Gymnasiums dorthin gekommen, wo die Menschen einst lebten: An der Klausener Straße in Lüttringhausen standen ihre Wagen und Hütten. Heute erinnert ein Mahnmal an ihr Schicksal.
Dass ihre Geschichte noch nicht auserzählt ist, zeigte sich kurz vor der Feierstunde in Remscheid. Recherchen des Vereins Pferdestall hatten eine weitere Überlebende der Nazigräuel zutage gefördert. Anders als nach dem Krieg angenommen, hatte Anna Meinhardt gleich mehrere Vernichtungslager überstanden. Allerdings starb sie 1947 mit nur 21 Jahren. Statt neun verlegte der Stolperstein-Künstler Günther Demnik deshalb nur acht seiner Messingplatten im Pflaster der Klausener Straße. Darauf stehen die Namen der Mitglieder der Familie Meinhardt, deren Schicksal gewiss ist. Weitere dürften folgen, denn Fakt ist auch: Von den annähernd 90 Sinti, die am 3. März 1943 von der Polizei über die Freiheitstraße zum Hauptbahnhof geführt und von dort mit dem Zug nach Auschwitz deportiert wurden, kehrten nur zehn zurück. „Das Leben am Rand der Gesellschaft ist unsere Realität“, hält Bluma Meinhardt, Tochter einer der Überlebenden fest. Nach wie vor erleben die Menschen Ausgrenzung. Menschen, die sich übrigens selbst Zigeuner nennen: „Das ist kein Schimpfwort“, sagt Bluma Meinhardt.
„Ich will nicht mehr vergeben, ich will Euch die Hand reichen“, erklärt sie weiter. Der Kampf um Gleichberechtigung ist ihr großes Thema: „Wir sind keine Ausländer, wir sind Interieur“, ruft sie den Menschen zu. Seit mehr als 600 Jahren leben Zigeuner in Europa und Deutschland. Auch sie nimmt die stolze
Zigeunerin in die Pflicht, damit Gleichberechtigung gelingt: „Wir müssen uns öffnen, wir müssen Transparenz üben“, erklärt sie: „Wir müssen Freundschaften schließen.“
Wie Francesco Lo Pinto, zweiter Vorsitzender des Vereins Pferdestall, schlägt auch Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz den Bogen in die Gegenwart: „Dieses Mahnmal mahnt uns, Verantwortung zu übernehmen“. Denn heute gibt es wieder Parteien, die ein anderes Deutschland wollen, Menschen verteufeln und zu Demonstrationen gegen sie aufrufen. „Es ist“, hält das Stadtoberhaupt fest, „unerträglich, dass das heute wieder möglich ist.“