Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der EU läuft die Realität davon

- VON GREGOR MAYNTZ

Dieser Gipfel hat die EU vorangebra­cht. Viereinhal­b Monate währende eingeschrä­nkte Sprechfähi­gkeit zu der verheerend­en Gewaltwell­e im Nahen Osten ist durch ein einmütiges Eintreten für Feuerpause, Geiselfrei­lassung und nachhaltig­en Waffenstil­lstand ersetzt worden. Zwei Jahre währendes Ringen um die bestmöglic­he Unterstütz­ung der Ukraine in der Abwehr des russischen Vernichtun­gskrieges ist ergänzt worden durch eine noch umfassende­re Selbstverp­flichtung. Statt Hilfe zu verspreche­n, „solange es dauert“, sagte die EU nun auch zu, sie „so intensiv wie nötig“auszustatt­en. Das wären vergleichs­weise mutige Festlegung­en, wenn sie nur an dem langen Ringen um jede sprachlich­e Nuance gemessen würden. Doch gemessen an den Herausford­erungen der Realität, sind sie kaum das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden.

Um das zu erkennen, hätten sich die Staats- und Regierungs­chefs nur einmal kurz vorstellen müssen, sie wären am Freitag nicht in die geparkten Limousinen vor dem Brüsseler Ratsgebäud­e gestiegen, sondern sie hätten ihre Sätze den Menschen inmitten des Leidens in Gaza und Israel erläutern sollen. Oder den Menschen in Kiew, die wohl nicht zufällig gleichzeit­ig mit den Brüsseler Beschlüsse­n von Russland unter Raketenbes­chuss genommen wurden. Ein „sehr klares Signal“an Wladimir Putin sollte laut Ankündigun­g des Kanzlers mit der Verwendung herrenlose­r Milliarden­erträge aus eingefrore­nen russischen Vermögen für den Kauf von Munition und Waffen für die Ukraine gesandt werden. Putin hat sein „sehr klares Signal“erhalten – indem die EU-Verantwort­lichen lediglich entschiede­n, das Thema weiter voranzutra­gen, ohne sich schon einig zu sein, ob das Geld wirklich für Waffen verwendet werden soll.

So kommt die Europäisch­e Union zwar voran, aber zu langsam. Die Realitäten eilen ihr davon.

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