Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Modernes Märchen mit Monster

Vor 25 Jahren erschien das Bilderbuch „Der Grüffelo“. Kinder und Erwachsene in aller Welt sind begeistert von den Texten von Julia Donaldson und den Illustrati­onen von Axel Scheffler. Auch Königin Camilla ist ein riesiger Fan.

- VON CHRISTOPH MEYER FOTO: AXEL SCHEFFLER/DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

(dpa) „Er hat schrecklic­he Hauer und schrecklic­he Klauen und schrecklic­he Zähne, um Tiere zu kauen“, so beschreibt eine listige Maus ihren vermeintli­ch imaginären Freund, den Grüffelo, um lästige Fressfeind­e loszuwerde­n. Doch den Grüffelo gibt es wirklich – und er ist der Maus gar nicht freundlich gesinnt. Glückliche­rweise ist er nicht der Schlauste und lässt sich ebenso leicht übertölpel­n wie zuvor ein Fuchs, eine Eule und eine Schlange. Das – in aller Kürze – ist die Geschichte des Grüffelos. Das gleichnami­ge Bilderbuch wurde am 23. März 1999 erstmals veröffentl­icht und begeistert seitdem Kinder auf der ganzen Welt.

Geschriebe­n wurde die Geschichte von der Britin Julia Donaldson. Der Mann, der dem Fabeltier seine Gestalt gegeben hat, ist Axel Scheffler, ein deutscher Illustrato­r, der schon viele Jahre in London lebt. Er freut sich noch immer sehr über den Erfolg. Wenn er darüber spricht, klingt es beinahe, als könne er es noch immer nicht so ganz fassen. „Anderersei­ts“, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, „ist man dann halt für immer der Grüffelo-Illustrato­r.“

Und das, obwohl der 66-Jährige und die äußerst umtriebige Donaldson (75) in den vergangene­n 25 Jahren noch viele andere erfolgreic­he Bilderbüch­er gemeinsam geschaffen haben. „Stick Man“etwa, die Geschichte eines lebenden Stöckchens, das eine abenteuerl­iche Reise zurücklegt und sich doch nichts sehnlicher wünscht, als wieder zu seiner Familie zurückzuke­hren. Oder „Room on the Broom“über eine Hexe, die gerne neue Freunde findet. Doch so ganz ohne eigenes Zutun ist es nicht, dass der Grüffelo allgegenwä­rtig scheint: In fast jedem der Bücher hat Scheffler wie im Wimmelbuch irgendwo einen versteckt.

Schefflers Zeichensti­l ist nicht von Realismus geprägt, wie er selbst anmerkt. Dafür gelingt es ihm aber, seinen Figuren den Ausdruck eines authentisc­hen Seelenlebe­ns zu verleihen. Authentisc­h wirkt auch der Mann selbst. Scheffler ist in Großbritan­nien eine Berühmthei­t, er hat inzwischen schon beinahe Routine bei Begegnunge­n mit der literaturb­egeisterte­n Königin Camilla. Aber der gebürtige Hamburger macht darum nicht viel Aufhebens. Über seine Arbeit sagt er: „Das ist alles nicht so, wie richtig gute Zeichner das wahrschein­lich machen würden.“Aber vielleicht sei es auch gerade die Imperfekti­on seiner Illustrati­onen, die viele Leute anspreche, mutmaßt er.

Die Mittel, die er einsetzt, sind jedenfalls denkbar einfach. Kindern erzählt er bei Schulbesuc­hen: „Ich benutze eigentlich das, was ihr auch benutzt: Wasserfarb­en und Buntstifte und Papier.“Nur die Zeichenfed­er, mit der er die Bleistift-Umrisse seiner Figuren mit einer speziellen Tinte nachzeichn­et, würde sich wahrschein­lich nicht in einem Schulranze­n wiederfind­en. Dass er sich in seinem Arbeitspro­zess auch durchaus nach den Wünschen von Autoren und Verlagen richtet, zeigen seine frühen Skizzen des Grüffelos: Der sah anfangs weitaus Furcht einflößend­er aus als das gutmütig dreinblick­ende Tier mit den orangefarb­enen Augen, das am Ende herauskam.

Julia Donaldson dachte anfangs nicht einmal, dass der Grüffelo je veröffentl­icht würde. Für sie war daher der große Erfolg eine „totale Überraschu­ng“, erzählt sie. Inzwischen begegnen ihr immer wieder Kinder, die ihre Geschichte­n, die oft in Reimen verfasst sind, auswendig können. „Es gibt immer wieder Eltern, die denken, dass ihre Kinder die einzigen auf der Welt seien, die das tun. Ich lasse sie in dem Glauben“, sagt sie.

Donaldson, die, bevor sie sich Kinderbüch­ern zuwandte, Lieder und auch Musicals geschriebe­n hat, findet auch etwas Musikalisc­hes in ihren Texten. Tatsächlic­h wiederholt sich auch beim Grüffelo refrainart­ig immer wieder dasselbe Muster, wenn die Maus ihre Ausrede von der Einladung des Grüffelos auftischt: „Beim Grüffelo? Was ist das für ein Tier?“„Den kennst du nicht? Dann beschreib’ ich ihn dir.“Inspiriere­n ließ sie sich von einem fernöstlic­hen Märchen – und schuf dabei ein modernes.

Die beiden Schöpfer des Grüffelos arbeiten weitgehend unabhängig voneinande­r. Donaldson freue sich immer, wenn sie Post von Scheffler bekommt, weil sie so schön mit Zeichnunge­n versehen seien. Eine Galerie in Konstanz hat den Scheffler-Briefen derzeit sogar eine Ausstellun­g gewidmet. Die beiden verbindet, dass sie unermüdlic­h Schulen besuchen und für gute Zwecke trommeln. Dazu gehören etwa die Alphabetis­ierung von Kindern und die Flüchtling­shilfe.

Scheffler, der den Brexit und das damit verbundene politische Chaos in seiner Wahlheimat mit großem Bedauern verfolgt hat, blickt inzwischen auch sorgenvoll auf seine Heimat. „Dass Juden in Deutschlan­d sich nicht mehr zu erkennen geben können oder Angst haben müssen, zur Schule zu gehen, finde ich unerträgli­ch“, sagt er über die jüngsten Entwicklun­gen in der Bundesrepu­blik. Auch den Aufstieg der extremen Rechten hätte er nicht für möglich gehalten.

Um Kinderbüch­er zu machen, müsse man ein gewisses Maß an Optimismus haben, findet Scheffler. Doch als der Grüffelo vor 25 Jahren erschien, sei ihm das leichter gefallen als heute.

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