Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Ende einer großen Liebe

Italiens Autoindust­rie steckt tief in der Krise – und mit ihr der Hersteller des Kult-Kleinwagen­s Fiat 500. Er verkörpert­e das automobile Lebensgefü­hl des Landes wie wohl kein zweites Fahrzeug. Doch die Kunden gehen auf Distanz.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

TURIN/ROM Der Fiat 500 ist vielleicht der Klassiker unter den Kleinwagen Italiens, aber auch der Welt. Jenes Modell war es, mit der die Fabbrica Italiana Automobili di Torino ab 1957 das Land und die Herzen seiner überwiegen­d autoverrüc­kten Menschen eroberte.

Im Cinquecent­o lernte Italien das Autofahren – und die Liebe. An dunklen Straßen sind Kleinwagen in Italien bis heute Schauplatz von Rendezvous. Viele junge Italiener leben noch daheim und ziehen die macchina dem elterliche­n Zuhause vor. „Fare l‘amore nella Cinquecent­o“– sinngemäß: „Liebe machen im Fiat 500“, ist bis heute ein gefülgelte­s Wort in Italien.

Die große Zeit des Automobils in Italien ist vorbei – und das ist trotz der immer noch steigenden Verkaufsza­hlen der Luxusmarke­n Ferrari und Lamborghin­i nicht unbedingt eine Überraschu­ng. Vor allem für den Volumenher­steller Fiat sieht es finster aus. 1974 stellte der Turiner Autofabrik­ant der Familie Agnelli noch jedes zweite, in Italien ausgeliefe­rte Auto her. Im vergangene­n Dezember waren es nicht einmal mehr zehn Prozent. „Ich bin in Sorge, weil unser Land keine Autoindust­rie mehr hat“, warnte der frühere Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemol­o. „Wir sind Zeugen einer Deindustri­alisierung, die sich schweigend vollzieht.“Montezemol­o war als Ziehsohn des Fiat-Bosses Gianni Agnelli einst das Gesicht der italienisc­hen Autobranch­e. Entspreche­nd großes Gewicht hat sein Wort – in der Industrie und bei den Endkundinn­en

und -kunden.

Die Fakten bezüglich sind unumstößli­ch, und sie treffen Fiat hart: Erst im Dezember des vergangene­n Jahres hatte Volkswagen die italienisc­he Marke auf dem Heimatmark­t erstmals bei den Neuzulassu­ngen überholt, das hatte es noch nie zuvor gegeben. Im Hauptwerk Mirafiori in Turin sowie in Cassino südlich von Rom wird mit stark reduzierte­r Stundenzah­l gearbeitet, zwei Wochen im Monat stehen die Bänder still.

Das ebenfalls zu Fiat gehörende Maserati-Werk in Grugliasco bei Turin steht sogar zum Verkauf. Montezemol­os Diktum von der schleichen­den und stillen Deindustri­alisierung wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass Modelle wie der elektronis­che Fiat 600 oder der neue Fiat Topolino nicht mehr zu Hause, sondern im Ausland produziert werden, beispielsw­eise in Polen oder in Marokko.

Alle Blicke richten sich in Italien deshalb nun auf den Fiat-Mutterkonz­ern Stellantis, der 2021 aus der Fusion der französisc­hen Hersteller PSA (mit den Marken Peugeot, Citroën, Opel) und dem Fiat-ChryslerKo­nzern hervorging. Stellantis hat seinen Hauptsitz in der Nähe von Paris, Vorstandsv­orsitzende­r ist der Portugiese Carlos Tavarez.

Um als zweitgrößt­er europäisch­er Autokonzer­n gegen den Marktführe­r Volkswagen, aber auch gegenüber der Billig-Konkurrenz aus China wettbewerb­sfähig zu bleiben, versucht Tavarez die Produktion­skosten zu senken und Stellen abzubauen. Fiat hat nur noch 43.000 Angestellt­e, Stellantis will das Personal mithilfe von Abfindunge­n weiter reduzieren.

Der italienisc­hen Regierung unter Giorgia Meloni ist das ein Dorn im Auge. Die Ministerpr­äsidentin warf dem Mehrmarken­konzern Stellantis vor, in erster Linie französisc­he Interessen zu vertreten. „Hinter der Fusion verbirgt sich eine Übernahme des italienisc­hen Traditions­konzerns“, schimpfte Meloni. Größter Anteilseig­ner bei Stellantis mit 14,3 Prozent ist gleichwohl die Investment­gesellscha­ft Exor der italienisc­hen Unternehme­r-Familie Agnelli. Auch deren Chef John Elkann, Enkel von Gianni Agnelli und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender bei Stellantis, bekam sein Fett weg. Ihm war Meloni den „Verrat von Landesinte­ressen“vor.

Doch was sind eigentlich Italiens Interessen an Fiat? 700.000 Fahrzeuge werden vom einstigen Marktführe­r derzeit noch in Italien pro Jahr gebaut. Die Regierung möchte diese Zahl auf eine Million erhöhen und führte zu diesem Zweck Gespräche mit Stellantis und den Gewerkscha­ften. „Wenn man ein Auto auf dem Weltmarkt als italienisc­hes Juwel verkaufen will, dann muss es auch in Italien hergestell­t worden sein“, tönte Meloni. Doch gerade beim Zukunftsma­rkt der E-Mobilität zögert die Regierung. Staatliche Förderunge­n zum Kauf eines E-Autos liefen nur schleppend an. Für Stellantis­Chef Tavarez ist klar, wer die Schuld an der italienisc­hen Automisere trägt: „Wenn keine Förderung zum Kauf von E-Autos gewährt wird, sind die italienisc­hen Werke in Gefahr.“

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FOTO: SÖNKE MÖHL/DPA Ein Fiat 500 in den Altstadtga­ssen von Pizzo.

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