Dunkle Tage
Dunkle Klavierakkorde, einzelne hell herausragende Töne: Eine wolkenverhangene Atmosphäre eröffnet Tomasz Stankos Komposition „ Cloud“. Wie Regenschauer mischen sich raue, angerissene Trompetenklänge ein, die Kontrabass und Schlagzeug auf dem Boden landen lassen. Gegen Ende hellt sich die Atmosphäre wieder auf, bis sich die Wolken verzogen haben. „ December Avenue“enthält mehrere derartige Stücke, in denen Situationen dezent programmmusikalisch nachgestaltet werden. Es müssen düstere Tage gewesen sein, an denen sich der polnische Trompeter mit seinem New York Quartet im südfranzösischen Pernes les Fontaines ins Studio begeben hat, denn die meisten Stücke durchweht ein Hauch von Melancholie. Stanko, der Pianist David Virelles, der Kontrabassist Reuben Rogers und der Schlagzeuger Gerald Cleaver lassen sich viel Zeit, um die Atmosphäre von „ Blue Cloud“und „ Bright Moon“nachzugestalten oder in „ Sound Space“, der „ Ballad For Bruno Schulz“und der Beobachtung eines „ Young Girl In Flower“dahinzuschmelzen. Die gedämpfte Atmosphäre des Albums durchbrechen unter anderem das dem Stop and Go der Fahrzeuge nachempfundene, deshalb stärker pulsierende „ December Avenue“, das lodernde „ Burning Hot“und das agile „ Yankiels Lid“. Stanko zählt zu den wenigen großen Stilisten mit einem eigenen, unverwechselbaren Klang. Zart und atemreich klingen seine Töne. Sie zittern oft ein wenig – als Stilmittel, nicht als Zeichen von Schwäche. Sie zeigen Stärke, sie gleiten und schreiten, sie flirren, kieksen, kommen als kleine, explosive Kugeln daher und können sich ebenso selbstverständlich aus einem Hauchen zu Strahlkraft und zurück zum Nichts entwickeln. Als sei er ein fünfter Musiker, hat Gérard de Haro am Mischpult die transparente, kommunikative Spielweise des Quartetts kongenial eingefangen.