Ost- West- Treffen im Kalten Krieg
Zum 80. Geburtstag ihres Hausgottes Vladimir Ashkenazy würdigt Decca den Starpianisten und Dirigenten erneut mit einer 46- teiligen CD- Edition aller seiner Konzertproduktionen ( Decca 483 1752). Das ist nach 2013, als man seinen 50- jährigen Schallplattenvertrag mit einer ähnlich umfangreichen Dokumentation feierte, die zweite große Retrospektive auf seine umfängliche Diskographie, die ihn von allem Anfang an als hochkultivierten Klangmagier und charismatischen Virtuosen ausweist. Gleichzeitig sind sechs legendäre Konzertproduktionen Ashkenazys erschienen, die in den 1960er- Jahren seinen frühen Weltruhm begründeten, auf digital neu gemasterten 180-g- Vinyls, die jetzt in bestechender Klarheit und rauschfreier Brillanz seine gestalterische Intelligenz und die lyrische Sogkraft seines Spiels offenlegen. Den stärksten Eindruck hinterlässt seine erste für Decca in London produzierte Version des zweiten Rachmaninow- Konzerts, die im Oktober 1963 unter besonderen Umständen stattfand: anstelle eines Londoner Orchesters hatte man die Moskauer Philharmoniker unter ihrem damals schon weltweit geachteten Chef Kirill Kondrashin verpflichtet, und dieses seltene Gastspiel einer rein „ sowjetischen“Formation im Decca- Studio zog nicht nur die Aufmerksamkeit der britischen Presse, sondern auch zahlreicher Geheimdienst- Leute beider Seiten auf sich. Die künstlerische Intensität beider Musik- Besessener blieb davon unberührt, wurde eher noch beflügelt, dennoch förderten die ständigen Restriktionen, die man von sowjetischer Seite dem jungen Ashkenazy und seiner isländischen Gattin zumutete, seinen Entschluss, Russland zu verlassen und nach London überzusiedeln, was dann auch im Jahr darauf geschah. Decca band den 26- Jährigen damals sofort mit einem Exklusiv- Vertrag, der bis heute gilt, und zuletzt den 79- Jährigen als Bach- Interpreten ins Rennen schickte ( Decca 483 2150). Das Rachmaninow- Konzert unter Kondrashin aber zählt bis heute zu den eindrucksvollsten Dokumenten seines jugendlichen Feuers und einer schon damals berückenden lyrischen Erzählkraft, die einen trotz mancher altmodischer Rubati sofort in seinen Bann ziehen und die auch im wachen Dialog mit der idiomatischen Sicherheit der hervorragend eingestellten Moskauer Musiker die emotionale Tiefe und die raffinierte Klangregie dieses Meisterwerks suggestiv ausleuchten. Das ist, wie der Remastering- Tonmeisterschwärmte, in der Tat „ larger than life.“