Carl Philipp Emanuel Bach: Clavierstücke
Die Extreme tangieren will Alexei Lubimov mit seinem Tangentenflügel in den Clavierstücken Carl Philipp Emanuel Bachs. Und tatsächlich gibt das instrumentale Mischwesen aus Cembalo und Hammerklavier, dessen Holzstäbe die Saiten von unten „ tangieren“, dieser alle Gemütszustände auslotenden Musik ein gebührendes Stimmrecht. Warum? Weil eben kein Steinway-Einheitsklang die heftigen Kontraste des empfindsamen Rhapsodierens nivelliert, weil gleitende dynamische Schattierungen – anders als beim Cembalo – zwar mög- lich sind, aber eher im Sinne der Andeutung als der physikalischen Gewalt. Und genau dieser zeichenhafte Klang – je nach Registrierung cembaloartig spitz oder klavierartig rund – verleiht den musikalischen Gesten und Gestalten eine pure, unverstellte Ausdrücklichkeit, der Lubimov mit agogischem Elan, blitzenden Läufen oder brütender Konzentration auf den Empfindungsnerv fühlt. In der „ Freyen Fantasie“, einem der radikalsten Stücke, realisiert er die „ Freyheit“sowohl wie das strenge Formkalkül, in anderen, sekunden- kurzen Fantasien lässt er Webern’sche Aphoristik ahnen. Dies gelingt ihm mit einer Interpretationskunst, die Impulsivität und Formbewusstsein zur hörbaren Identität bringt, den rapiden Wechsel der Affektmomente und Motivtexturen mit stringenter Logik vermittelt: ein erregender musikalischer Diskurs, auch in der C- Dur- Fantasie und den je zwei Sonaten und Rondos aus Bachs Sammlungen „ für Kenner und Liebhaber“, deren Adressaten Lubimov kongeniale Ehre erweist.