Großes Theater und Horror lm
Vor wenigen Monaten erst sorgte Jean Rondeau mit seinem Album Dynastie für Furore, als er Cembalokonzerte J. S. Bachs und seiner Söhne einer elektrisierenden Frischzellenkur unterzog ( siehe stereoplay 9/ 2017). Auf seiner gerade erschienenen dritten CD unternimmt der neue Shootingstar der französischen Barockszene eine Traumreise in die pittoreske, höfischzeremonielle und dann auch wieder exotisch anmutende Fantasiewelt der französischen Barockmeister JeanPhilippe Rameau ( 1683 – 1764) und Pancrace Royer ( 1705 – 1755), die in den Diensten Ludwigs XV. auch zu den letzten großen Schöpfern der Cembalo- Musik zählten. Er hat da insgesamt 16 Stücke aus Rameaus zweitem und drittem „ livre de pièces de clavecin“und aus Royers „ premier livre“von 1746 zu einer dreiteiligen Suite zusammengestellt und sie wie eine echte Bühnenmusik in Akte unterteilt, die jeweils der „ Poesie“, der „ Musik“und dem „ Tanz“huldigen. Zur geistigen Einstimmung des Hörers hat Rondeau seine Auswahl auch mit einem kleinen Essay versehen, in dem er die ganz besondere Rolle des Cembalos in dieser theatralischen Welt, aber auch die herausragenden Leistungen beider Komponisten sehr anschaulich herausarbeitet: Sie seien „ zwei Magier, die zu den brillantesten und verrücktesten Genien ihrer Epoche gehörten und versucht haben, auf der Klaviatur des Cembalos das große Theater nachzuspielen.“Und genau dieses „ große Theater“entfacht der 25- jährige Barockrebell dann auf dem wunderbar voluminös und warm klingenden historischen Instrument, das ( vermutlich) 1688 gebaut wurde und als Herzstück des südfranzösischen „ Chateau d’Assas“zu den berühmtesten Cembali überhaupt zählt. Schon Cembalo- Legende Scott Ross benutzte es für seine legendären Scarlatti- Aufnahmen. Was Rondeau dem magisch klingenden Instrument an Klangfarben, an unterschiedlichen Stimmungen, Charakteren und Gefühlsextremen abtrotzt, ist überwältigend: überwältigend wild und von zärtlichster Poesie, orchestral schmetternd und ätherisch verklärt – eben das ganze Spektrum barocker Leidenschaft und Farbenpracht. Höhepunkt und Namensgeber des Albums ist Royers wüste Fantasie „ Vertigo“, ein kompletter Horrorfilm in knapp sechs Minuten, bei dem Rondeau das Instrument und den Zuhörer wahrlich „ schwindlig“spielt: Wie die Hofdamen wohl auf diese Death- Metal- Nummer reagiert haben? Dieses sensationelle Album weckt Tote auf und betört selbst CembaloSkeptiker.