Lieder ohne Worte
Wer kennt heute noch Gilbert Schuchter? Der Salzburger Pianist ( 1919 – 1989) war das Gegenteil eines strahlenden Virtuosen: ein ruhiger, besonnener, in sich gekehrter Lyriker, dessen Ruhm kaum über den deutschsprachigen Raum hinausreichte. Nach ersten Erfolgen als Pianist, vor allem bei den Salzburger Festspielen, wechselte er 1950 zum Taktstock und wirkte am Salzburger Landestheater, bevor er 1958 eine Klavierprofessur am Mozarteum annahm und da bis zu seiner Pensionierung wirkte. Bleibende Verdienste erwarb sich Schuchter aber durch seine Einspielungen der Klavierwerke Mozarts und Pfitzners, und insbesondere durch die erste ( und bisher einzige) Komplettaufnahme des gesamten Klavierwerks von Franz Schubert, mit der er 1970 weltweit Aufsehen erregte. Diese damals vom kleinen Münchner Independent Tudor in exzellenter Stereoqualität vorgelegte Pioniertat ist jetzt von dem mittlerweile in Zürich beheimateten Label in einer 12- CDBox wiederveröffentlicht worden, und man staunt auch heute noch über die großformatige, haptisch- prä- sente, grundtonstarke Abbildung des großen Bösendorfer- Flügels, der Schuchter damals im Wiener Casino Baumgarten zur Verfügung stand. In seinem Nachruf in der SZ hatte Karl Schumann Schuchters Schubert- Spiel treffend als „ weich im Klang, österreichisch in der Dialektfarbe und wehmütig auf Heimweh gestimmt“charakterisiert. Und man spürt heute noch die starke emotionale Verbindung Schuchters zu Schubert, die sich in seiner verinnerlichten, elegisch- besonnenen Spielweise äußert, und die in seinem betont lyrischen, fast liedhaften Vortrag dem agogischen Augenblick den Vorzug gibt gegenüber aller konstruktiven Strenge. So wirken selbst die teilweise sehr langsam gespielten Sonaten hier wie unendlich ausströmende, gelegentlich pathetisch aufflammende Lieder ohne Worte, die inständig und mit schwerem Atem an vergangene Zeiten appellieren: Es sind stille, aber niemals an Intensität nachlassende, und von großer Seelenkraft gespeiste Widerworte gegen den Tod. Dazwischen gibt es aber immer wieder auch unvermutete Aufhellungen in den zahllosen kurzen Tanzmelodien, die Schuchter dann mit dem Instinkt des Altösterreichers freundlich zum Leben erweckt. Mit seinem sehr persönlich gefärbten Schubert- Manifest setzte Gilbert Schuchter schon vor 50 Jahren ein markantes Monument eines tief ernsten, nachhaltigen Schubert- Ansatzes, der sich deutlich absetzte von aller Attitüde, allem Mainstream, allen Modetrends: ein Meilenstein der Schubert- Diskografie.