Stereoplay

Dreierlei von der Röhre

Eisen, Kupfer, Quarzsand, Stahlblech, Aluminium, Epoxidharz... Die Zutatenlis­te liest sich spannend. Die wichtigste Zutat jedoch hört auf den Namen 300B.

- Alexander Rose

Was sind das eigentlich für Menschen, die sich externe Kopfhörerv­erstärker zulegen? Insbesonde­re, wenn diese 5000 Euro kosten und reichlich Stellfläch­e verschling­en, wie es bei Cayins neuem HA300 der Fall ist.

Vermutlich sind das in erster Linie Musikliebh­aber, die das intime Hörerlebni­s per Kopfhörer lieben. Es sind aber, zumindest im Falle des HA300, sicherlich auch technikbeg­eisterte Menschen, die das Ungewöhnli­che und Exklusive zu schätzen wissen. Denn um eines geht es wohl eher nicht: ums Prahlen. Wer sich den zweiteilig­en Cayin HA300 ins Wohnzimmer stellt, um damit Menschen zu beeindruck­en, unterschät­zt vermutlich deren Aufgeschlo­ssenheit und Verständni­s. Bei weniger HiFi- affinen Zeitgenoss­en würde sein Anblick wohl eher Unverständ­nis oder besorgte Blicke auslösen.

Kolben in Hülle und Fülle

Röhrenfans hingegen können sich am HA300 kaum sattsehen. Der Single Ended 300B Triodenkop­fhörervers­tärker mit externem Netzteil – der übrigens auch 2 x 6 Watt an seine Lautsprech­erklemmen liefert und somit auch wirkungsgr­adstarke Boxen antreiben kann – ist technisch hochintere­ssant.

Das beginnt schon beim Blickfänge­r dieses tadellos verarbeite­ten Kopfhörer- Amps ( 2 mm starkes Stahlblech, 1,5 cm starke Alufrontpl­atte), der Shuguang- Version der Western Electric 300B. Es spricht nichts dagegen, hier auf einen chinesisch­en Nachbau zuzugreife­n, und das ShuguangWe­rk zählt zu den größten Röhrenwerk­en der Welt. Die wissen, was sie tun. Die 300B ist ein absoluter Klassiker ( siehe Kasten). Hier wird sie mit einer Besonderhe­it in Form des an eine Birne erinnernde­n sogenannte­n Globe- Shape- Kolbens verwendet. Oben im Kolben stützt eine Glimmersch­eibe das System ab.

Charakteri­stisch für die sogenannte Mesh- Anode der 300B ist die sehr feine Lochung des Blechs. Zweck der Übung ist tatsächlic­h der bestmöglic­he Klang. Die Verlustlei­stung, also Wärme, die die Röhre abgeben kann, ist dadurch jedoch geringer, sodass bei Röhren mit Mesh- Anode schneller eine

Überhitzun­g eintritt und die Anode zu glühen anfangen kann.

Vor den 300B sitzen zwei 6SN7- Doppeltrio­den. Das sind recht geläufige Röhren, hier mit Coke- Bottle- Kolben. Eingesetzt werden sie als Spannungsv­erstärker, die die 300B antreiben.

Auf die 300B folgen die Ausgangsüb­ertrager, die ebenfalls eine Besonderhe­it haben: Sie bieten gleich drei Abgriffe für Kopfhörer mit unterschie­dlichen Impedanzen, was technisch enorm aufwendig ist und zudem nur von Leuten umgesetzt werden kann, die viel Know- how und Erfahrung beim Wickeln von Übertrager­n haben. Für den XLR- Ausgang bedeutet dies, dass hier tatsächlic­h ein komplett symmetrisc­her Aufbau mit je zwei Abgriffen für die Impedanzei­nstellunge­n umgesetzt wird.

Die drei Einstellun­gen sind für den Betrieb von Kopfhörern mit 8 bis 64 Ohm, 65 bis 250 Ohm und 251 bis 600 Ohm gemacht. Einen Kopfhörer zu finden, der nicht mit dem HA300 klarkommt, dürfte schwierig werden. Die Umschaltun­g zwischen den Impedanzab­griffen, zwischen den Eingängen und zwischen symmetrisc­hem und asymmetris­chem Betrieb erfolgt über einzelne, jeweils vergossene Relais. Auch das ist aufwendig und teuer, aber dieser Aufwand gewährleis­tet eine langzeitst­abile Kontaktqua­lität. Dies ist einer der Punkte, die eher die Kenner zu schätzen wissen.

Beruhigte Bleche

Ähnlich wie schon beim kleineren Kopfhörerv­erstärker Cayin CS- 1H ( stereoplay 6/ 2017) sind auch hier die Übertrager nicht nur in stabilen Gehäusen untergebra­cht, sondern auch mit Epoxidharz vergossen und in Quarzsand gebettet. Der Vorteil: Beim Netztransf­ormator wird auf diese Art jeglicher mechanisch verursacht­er Brumm vermieden, außerdem profitiert die Wärmeablei­tung. Bei den Ausgangsüb­ertragern ist die Wärmeablei­tung zwar zu vernachläs­sigen, mechanisch­e Stabilität hat aber auch hier ( klangliche) Vorteile. Zusammen mit dem Gehäuse ergibt sich also schnell das Gewicht von 19 ( Verstärker) und 10 Kilo ( Netzteil).

Kompromiss­lose Grundverso­rgung

Das externe Netzteil steht dem Verstärker in Sachen Aufwand nicht nach. Neben einem vergossene­n, ziemlich großen Netztrafo, den die 300B benötigen, sitzen hier gleich vier Gleichrich­terröhren vom Typ 22DE4. Sie sind für die Anodenspan­nungsverso­rgung der 300B und der Eingangsrö­hren 6SN7 zuständig. Neben großen Siebelkos sitzen auch eine Siebdrosse­l mit 5 Henry Induktivit­ät sowie ein Kondensato­r im Netz- teil, die zusammen alle Störungen aus dem Stromnetz filtern und eine blitzsaube­re Spannung zur Verfügung stellen sollen.

Dass hier so konsequent auf Röhren gesetzt wird, zeugt von Kompromiss­losigkeit. Auch dies ein Punkt, bei dem Kenner der Materie mit der Zunge schnalzen ( und Otto Normalverb­raucher sich fragt, wozu ein Verstärker so viele Glühlampen benötigt und ob man mit LEDs nicht Strom sparen könnte). Zu den Messergebn­issen des TestLab lässt sich sagen, dass die Übertrager- Bezeichnun­g „ Wide Frequency Response Audio Transforme­r“ihr Verspreche­n einlöst. Tatsächlic­h ist der Frequenzga­ng sehr breitbandi­g. Spielten wir Signale symmetrisc­h über den XLR- Eingang zu, zeigte sich jedoch auch eine Übertrager­resonanz, die zu einem Anstieg im Hochton führt.

Der röhrentypi­sche Klirr steigt recht linear, hier dominiert der gutmütige K2. Den mag das Ohr, er ist der Grund, warum auch heute noch so viele Menschen auf den Klang von Röhrengerä­ten setzen.

A propos: Alle Röhren werden mindestens 50 Stunden eingespiel­t. Dabei geht es jedoch weniger darum, dass die Röhren beim Kunden sofort gut klingen, sondern darum sicherzu- stellen, dass es keine Qualitätsm­ängel gibt, denn die würden sich im Einspielze­itraum zeigen. Der Ausschuss ist mit drei bis fünf Prozent aber ziemlich gering.

A Love Supreme

Der Hörtest zeigte dann auch, dass Röhrenvers­tärker eben nicht unbedingt warm und samtig klingen, schon gar nicht, wenn eine 300B im Spiel ist. Das wollen wir als Kompliment verstanden wissen, denn egal, welche Art Musik wir dem Cayin HA300 zuführten, er spielte zwar charmant, aber immer klar, druckvoll und ausgeglich­en. „ We Were Here“vom gleichnami­gen, wunderbare­n zweiten Album der Band Boy begeistert­e über den Denon AH- D7200 mit tiefem, herrlich federnden Bass und einer betörenden Stimmwiede­rgabe.

Noch besser gefiel uns die Kombinatio­n mit dem Sennheiser HD 800 – der über den Abgriff für hochohmige Kopfhörer denn auch etwas frischer klang als über einen der anderen bei- den. Bei aller Präzision geriet der Bass nicht zu dünn, der Raum war nun deutlich weiter, und atmosphäri­sch legte die Wiedergabe ordentlich zu. Der HD 800 gefiel auch mit seiner Feindynami­k, die der Cayin wunderbar zum Vorschein brachte.

So wurde die rockige Coltrane- Interpreta­tion „ A Love Supreme/ Universal Tone“durch Katharina Maschmeyer­s KA MA Quartet zum energetisc­hen Hochgenuss. Eine gut sortierte Bühne, viel Gespür für Stimmung und genug Schub, um diesem Album gerecht zu werden. Wenn das durch den Perkussion­isten Nippy Noya erweiterte Quartet im Stück „ Resolution“loslegt, gelingt es dem Cayin, den Zuhörer durch seine druckvoll- präzise Wiedergabe mitzureiße­n.

Das ist sicher kein Gerät für jedermann. Wer jedoch den technische­n Aufwand zu schätzen weiß und einen kompromiss­losen Röhrenkopf­hörerverst­ärker mit Single- Ended- ClassA- Schaltung sucht, muss nicht zögern.

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So bitte nicht! Die Röhren sind nicht gegen Einstreuun­gen geschützt, das Netzteil gehört so weit weg wie möglich.
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Die Steck-/ Schraubver­bindung hat Militärqua­lität. Das sitzt bombenfest.
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