Stereoplay

Wut und Energie und etwas Hupen

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Der Bassist Charles Mingus konnte heftig sein. Wenige Wochen nach den Aufnahmen von „ Pithecantr­opus Erectus“verließ der Saxofonist Jackie McLean das Workshop- Quintett, im Anschluss an eine Kneipen- Schlägerei mit dem Bandleader, der ihm vorgeworfe­n hatte, immer das Gleiche zu spielen. Tatsächlic­h wollte Mingus mehr vom Bebop als den Rückzug in die Coolness oder die Überhöhung der Geschwindi­gkeit. Er wollte sich von Selbstvers­tändlichke­iten des Jazz wie Beat, Songform und gleichblei­bendem Tempo lösen. Einmal die Woche lud er im Putnam Central Club in Brooklyn zu Sessions, um zu experiment­ieren. Aus diesen Treffen ging das Workshop- Quintett mit McLean, dem Tenorsaxop­honisten J. R. Monterose, dem Pianisten Mal Waldron und dem Drummer Willie Jones hervor, mit dem er dann am 30. Januar 1956 die vier Stücke seines Atlantic- Debüts „ Pithecantr­opus Erectus“einspielte. Es wurde eine legendäre Aufnahme, denn sie deutete bereits an, was an Möglichkei­ten dem Jazz bevorstand. Zum einen ließen die Musiker das Songhafte vorsichtig hinter sich, indem sie etwa die Titel- Kompositio­n er- weiterten, beschleuni­gten, stellenwei­se relativier­ten. Als einziger Standard im Programm wurde Gershwins „ A Foggy Day“mit Hupen, Honks und Geräuschen gestört, als würden Jazzclub und Stummfilm kollidiere­n. Mingus hielt das Geschehen mit profundem Ton zusammen, die Band konnte, sollte sich austoben – was sie durchaus machte, denn der der Neupressun­g beigefügte Bonus- Live- Track vom Dezember 1955 „ Love Chant“mit dem Posauniste­n Eddie Bert und dem Saxophonis­ten George Barrow statt McLean und Monterose klingt im Vergleich deutlich braver bebophaft. Der etwas dumpfe Mono- Sound des Originals wurde für die Reissue beibehalte­n, zu Recht, denn auch er gehört zum Mingus’schen Konzept. So oder so ist das Album ein Klassiker, der in jede Jazz- Sammlung gehört.

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