Sensible Sinnlichkeit
Ein magischer Moment: das von der einsamen Solo- Violine angestimmte, von den Orchesterstreichern zum Fugato geweitete Klangtableau zu Beginn des langsamen ersten Satzes von Bartóks frühem Violinkonzert. Schon in dieser polyphon durchwirkten Statik zeigt sich das Format des Solisten Renaud Capuçon: seine tonliche Finesse, seine geschmeidige Kantabilität, sein wummerfrei wohldosiertes Vibrato. Dass er auch draufhalten und loslegen kann, zeigt er spätestens im burlesken Finale des Zweisätzers. Doch nicht nur in diesem janusköpfigen, auf den künftigen Personalstil voraus- und auf Brahms zurückblickenden Werk kommen Capuçons Qualitäten zum Tragen. Auch im reifen Violinkonzert von 1937/ 38 geht er auf Distanz zum ruppig- rupfigen, Stahlsaiten mit Stahlseilen verwechselnden Bartók- Klischee – und dem Meisterwerk mit seiner Balance der Extreme tut das nur gut. Schlackenlos und technisch astrein spielt der Geiger den intrikaten Solopart, stets auf musikalischen Sinn und sensible Sinnlichkeit bedacht, ohne die Energieströme in lauwarme Betulichkeit abzuleiten. Die rhythmisch- motorische Kraft, die Schärfe der Kontraste: Sie klingen so prägnant, wie die Nahsicht auf Details organisch wirkt ( etwa die Zweistimmigkeit der Kadenz oder die stets beseelten statt nur gläsernen Stratosphärenhöhen). Mit dem exzellenten London Symphony Orchestra fächert François- Xavier Roth die Partitur zu konturenreicher und vor allen sensueller Idealtransparenz auf, lässt die Synkopen fetzen, lotet die feinen Gespinste aus – und kann sich ( und Bartók) dank solcher Klarheit auch mal großen Cinemascope- Sound gönnen, ohne die leiseste Ahnung von Kitsch aufkommen zu lassen. Schade nur, dass sich die Interpreten für den nachkomponierten konventionellen Schluss statt fürs verstörende Original entschieden. Konventionell auch die Tontechnik, die den Solopart übers Orchester lupft. Capuçon hätte das gar nicht nötig.