Stereoplay

Zum Klangraum wird die Zeit

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„ Size matters“: Übergroße Chorbesetz­ungen haben seit den 40- stimmigen Motetten „ Ecce beatam lucem“von Alessandro Striggio ( 1561) und „ Spem in alium“von Thomas Tallis ( 1570) eine lange Tradition. Klangfülle „ ad maiorem Dei gloriam“– zur höheren Ehre Gottes – war zumal in Zeiten der Gegenrefor­mation ein probates Mittel, um die schmucklos­e lutherisch­e Kirchenmus­ik auszustech­en. In dieser Linie steht auch Orazio Benevolo, laut MGG- Lexikon „ der bedeutends­te Vertreter des römischen polychoren Stils“, der als Kapell meister der vatikanisc­hen „ Capella Giulia“von seinen Zeitgenoss­en so hoch geschätzt wurde, dass seine Partituren überall in Europa kopiert und ihm sogar fremde Werke zugeschrie­ben wurden, etwa Heinrich Ignaz Franz Bibers „ Missa Salisburge­nsis“. Der französisc­he Musikforsc­her Jean Lionnet hat schon vor 30 Jahren unveröffen­tlichte Manuskript­e Benevolos in Rom gesichtet und kopiert und Hervé Niquet dafür interessie­rt, der 1996 eine erste Aufnahme einer Messe und einiger Motetten mit seinem großartige­n Concert spirituel für Naxos realisiert­e. Nun also zwei 16- stimmige, um 1650/ 1660 entstanden­e Werke für Chor und Orchester, die ( so Niquet) „ beweisen, dass Benevolo eines der großen vergessene­n Genies Italiens ist“: die Missa „ Si Deus pro nobis“und eine seiner 12 „ Magnificat“- Vertonunge­n. Die auch akustisch exzellente Einspielun­g lässt quasi „ die Zeit zum ( Klang-) Raum werden“; wobei der sinnliche Rausch dieser Musik, die eine perfekte Balance im Kontrast zwischen komplexer Polyphonie, wuchtiger Akkorddich­te und dem damals noch neuen „ stile concertato“wahrt, beim Concert spirituel nie so üppig gerät, dass man ihn als bloßen Selbstzwec­k empfinden würde. Jeder der vier bis acht ( jeweils vokal und instrument­al besetzten) Chöre ist im Wechsel- und Zusammensp­iel so federnd und leicht geführt, dass trotz der großen Besetzung fast der Eindruck von Schwerelos­igkeit entsteht.

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