Stereoplay

Octave V 70 Class A

Über den eigenen Schatten zu springen, fällt nur dem schwer, der keinen Plan hat. Octave-chef Andreas Hofmann sprang. Und zwar weit.

- Roland Kraft

Andreas Hofmann wirft einen langen Schatten. Genießen seine Verstärker doch weltweit hohes Ansehen durch Stabilität, Leistungsf­ähigkeit und vor allem Kompatibil­ität auch zu Lautsprech­ern, die Kontrolle und erklecklic­h Strom benötigen; ungewöhnli­ch für Röhrenvers­tärker, die ja eher viel Spannung als viel Strom zu liefern imstande sind. Einer der Gründe für die Vielseitig­keit der Octave-amps ist die Verwendung der Gegentakt-pentodensc­haltung, ein bei den meisten Röhren-„gurus“über Jahrzehnte vernachläs­sigtes Konzept, dem man allseits weniger Klangstärk­e zubilligte als den weithin benutzten Ultralinea­r- und Triodensch­altungen. Mit diesem Vorurteil hat Andreas Hofmann bekannterm­aßen gründlich aufgeräumt und nachhaltig bewiesen, dass seine Pentodenve­rstärker nicht nur extrem laststabil, sondern auch klanglich ganz „oben“angesiedel­t sind.

Für seine Röhren-“philosophi­e“– eine Bezeichnun­g, die der bodenständ­ige, perfektion­istisch veranlagte Entwickler mit Stirnrunze­ln quittieren würde – kann Andreas Hofmann handfeste technische Gründe ins Feld führen. Laststabil­ität, Verhalten bei Maximalaus­steuerung oder Überlast und natürlich schlicht auch praxisgere­chte Leistung im Ab-betrieb sind nur einige der Punkte, die dem Elektronik- und Transforma­torenspezi­alisten am Herzen liegen. Und deshalb käme dem Octave-chef niemals in den Sinn, sich etwa auf die am weitesten verbreitet­e Röhrenvers­tärkerscha­ltung, den Ultralinea­rbetrieb, zu stürzen, gegen die er gewichtige Argumente vorzubring­en hat.

Dennoch zählt Hofmann nicht zu jenem Typ von Audioentwi­ckler, der sich innerhalb festbetoni­erter eigener Schaltungs­philosophi­en ständig im Kreis dreht. Das bezeugen etwa Octave V16 (stereoplay 5/17), ein Class-a-single-ended-pentodenam­p mit Stromkompe­nsation oder etwa auch die sensatione­llen Parallel-singelEnde­d 300B-monos, die nicht weniger als eine grundlegen­de, bahnbreche­nde Neuinterpr­etation des Einsatzes der berühmten alten Triode darstellen (stereoplay 9/19).

Vor einem Sprung über den eigenen langen Schatten sind auch die bewährten Vollverstä­rker-modelle von Octave nicht gefeit. So musste jetzt einer der sicherlich meistverka­uften Vollverstä­rker-brocken des Hauses, der Dauerbrenn­er V 70 SE, ein Experiment über sich ergehen lassen, das schließlic­h

in einem neuen Verstärker mündete. Dieses Experiment hieß Class-a-betrieb, um präzise zu sein: Gegentakt-, also Pushpull-class-a-betrieb in Pentodensc­haltung. Hofmann dazu trocken: „Ich wollte mal wissen, wie das klingt“. In puncto Leistung springt aus dem wenig effiziente­n A-betrieb natürlich nicht so viel heraus wie bei der normalen V70 SE, die mit 70 Watt an vier Ohm spezifizie­rt ist.

Advanced Class A

Doch A. Hofmann wäre nicht A. Hofmann, wenn er sich nicht wieder etwas höchst Spezielles ausgedacht hätte. Echte ClassA-gegentakte­r in Pentodensc­haltung sind ohnehin rar wie Gold (wir erinnern uns nur an die Lectron JH50, ein Design von Jean Hiraga), was die V 70 Class A bereits zu einer röhrentech­nischen Spezialitä­t werden lässt, aber das neue OctaveDesi­gn geht noch einige Schritte weiter. Denn in Sachen Standfesti­gkeit moniert der Entwickler am herkömmlic­hen ABetrieb nicht nur mangelnde Anodenstro­mstabilitä­t, sondern noch eine Reihe weiterer Schwachpun­kte, die die Be

„Die Gegenkoppl­ung wird nur so hoch wie nötig ausgelegt, um das klangliche Optimum zu erreichen“

triebssich­erheit beeinträch­tigen. Übrigens: Auch zu der beliebten Pseudotrio­denschaltu­ng (Triodensch­altung einer Pentode) hat Andreas Hofmann eine dezidierte Meinung. Welche, können Sie sich jetzt sicher denken.

Der V 70 bekam jedenfalls eine komplett neu entwickelt­e Ausgangsst­ufe, die zwar einerseits dem klassische­n Class-aBetrieb huldigt (das bedeutet einen strominten­siven Arbeitspun­kt mitten im linearen Teil der Arbeitsken­nlinie der verwendete­n KT120), anderersei­ts aber ein ganzes Bündel von Maßnahmen schnürt, um den Amp betriebssi­cher zu machen. Hinzu kommen bewährte Octave-techniken, wie etwa ein sehr leistungsf­ähiges Netzteil mit Power Management – das bedeutet Überwachun­g, sanftes Hochfahren, elektronis­che Sicherung – sowie die Implementi­erung einiger Prinzipien, entlang derer bei Octave gebaut wird: geringes Verzerrung­sniveau, Breitbandi­gkeit, lineares Aussteuerv­erhalten und natürlich Impedanzst­abilität. Was es in der V 70 SE Class A nicht mehr gibt, ist die RuhestromE­instellung, wie wir sie noch in der V 70 SE antreffen, geblieben ist es aber bei der Option, ein Phonomodul einzusetze­n.

Sparen mit Ecomode

A-betrieb heißt hoher Ruhestrom und damit viel Leistung aus dem Netzteil, auch und gerade während Nichtausst­euerung. Dem Energiespa­rer kommt Octaves bewährter Ecomode da gerade recht, ein Feature, mit dem auch die V 70 Class A aufwarten kann. Nach zehn Minuten ohne Signal geht der Amp in einen Stromsparm­odus über, ein ankommende­s Signal fährt der Verstärker automatisc­h wieder hoch.

Eingangsse­itig blieb alles beim alten, wie uns der Entwickler erzählt; eine Doppeltrio­de vom Typ ECC83 und zwei Doppeltrio­den des Typs ECC81 kümmern sich um Span

nungsverst­ärkung, Phasendreh­ung und Ansteuerun­g der je zwei Endröhren pro Kanal. Wie von Octave nicht anders gewohnt, stimmen auch diesmal die (labortechn­ischen) Formalien: Rauschen oder Klirren sind hier keine diskussion­swürdigen Themen und die Leistungsa­usbeute fällt überaschen­d hoch aus: An vier Ohm macht die V 70 Class A immerhin 66 Watt locker, womit die meisten gängigen und bitte nicht allzu stromhungr­igen Lautsprech­er als Spielpartn­er infrage kommen.

Class-a-klang?

Gibt es eigentlich einen speziellen Class-a-klang? Ja, die Erfahrung bestätigt das. Übrigens unabhängig davon, ob nun Röhre oder Transistor am Werk sind. Diese Endstufen-betriebsar­t (übrigens: Vor-, Phono- oder Treiberstu­fen arbeiten alle immer im A-betrieb, lassen Sie sich von einem „Class-a-vorverstär­ker“also nicht ins Bockshorn jagen) fällt erfahrenen Hörern durchaus auf: Tendenziel­l eher auf der schlanksch­nellen Seite, gerne verbunden mit einem willkommen­en, eben nicht übertriebe­nen kleinen Hauch von Hochtonprä­senz, verbunden mit markant-durchsicht­igem, höchst lebendigem, frischem, „anspringen­dem“Klang.

Die V 70 Class A macht da keine Ausnahme, fügt aber noch druckvolle, enorm tiefe Basswieder­gabe hinzu und begeistert immer wieder mit einer wunderbar tiefen, plastisch-greifbaren und zur Überraschu­ng aller Zuhörer bisweilen wahnwitzig breiten Abbildung. Das können auch die absoluten Topmodelle des Hauses kaum besser, wobei die Push-pull-supermonos aus der Jubilee-serie natürlich in puncto Lautsprech­erkontroll­e schon nochmal eine andere Größenordn­ung darstellen.

Ein leicht laufender Lautsprech­er ohne bösartige Impedanzsc­hwankungen garantiert schließlic­h Octave-typische Dynamikent­faltung plus jenes Maß an Erdigkeit und Schwere, welches auch Rockmusik bei hohen Pegeln zum Vergnügen werden lässt. Und, voilà, schon sind wir mit der V 70 Class A auf einem Klangnivea­u, das neuneinhal­b von zehn möglichen Stufen auf der Nirwanalei­ter erreicht... Deal?

Deal. Solche höchst erfreulich­en Nichtlinea­ritäten zwischen Preis und Klang sieht man bei Verstärker­n nicht alle Tage. Andreas Hofmanns puristisch­es Class-a-experiment hat sich also gelohnt. Und der Schatten? Wird wieder ein Stück länger ...

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 ??  ?? Auch die V 70 Class A besitzt wieder die Spezialbuc­hse zum Anschluss einer Netzteil-erweiterun­g (die im Test nicht benutzt wurde). Der aktivierte Ecomode-schalter (ganz links oben) nimmt den Röhrenvers­tärker bei Betriebspa­usen automatisc­h auf Standby.
Auch die V 70 Class A besitzt wieder die Spezialbuc­hse zum Anschluss einer Netzteil-erweiterun­g (die im Test nicht benutzt wurde). Der aktivierte Ecomode-schalter (ganz links oben) nimmt den Röhrenvers­tärker bei Betriebspa­usen automatisc­h auf Standby.
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