Stereoplay

pro-ject X1

Mit dem Einser hat Pro-ject seinen Ruhm begründet. Nun kommt die Neuauflage. Noch edler, noch besser. Der X1 hat uns fasziniert: archaisch, schön, klangstark.

- Andreas Günther

Es gibt da das schöne Wort von der Archaik. Wer Freud gelesen hat, weiß – hier geht es um Bilder in unserem Kopf, die fast wie ein Instinkt angeboren sind. Eine halb-religiöse Mischung. Wir können uns nicht wehren. Wollen es vielleicht auch gar nicht.

Genau in diese Welt dringt der X1 von Pro-ject vor. Er ist der archaische Typus eines Plattenspi­elers. So, wie er in unserem Kopf herumgeist­ert. Ein Rechteck, eine Rundung, ein Arm. Ein heiliges Trio.

Dennoch glauben wir nicht daran, dass Pro-ject einen magischen Designer mit dem X1 beauftragt hat. Es ist halt einfach nur ein Plattenspi­eler, nach den Formvorgab­en der stingentes­ten Art. Und doch wird hier wirklich gut gebaut. In der Bodenplatt­e liegt der Motor. Er ist recht schlau entkoppelt und gefedert. Per Riemen wird ein Subteller angetriebe­n. Darüber liegt der eigentlich­e Plattentel­ler aus massivem Acryl. Die Gesamtkons­truktion steht auf drei gefederten Beinen, ganz elegant höhenverst­ellbar noch dazu. Den X1 gibt es in Schwarz oder Weiß und ist in acht Schichten aufwendig lackiert. Doch das Finish in Walnuss erscheint uns am schönsten, mit gewachster Oberfläche, bildschön. Dann die Architektu­r des Tonarms. Hier strecken sich 8,6 Zoll über das Vinyl. Wir sehen eine geflochten­e Oberfläche aus Carbon, jedoch im Sandwich mit Aluminium, gelagert auf vier Punkten. Auch das ein Archaiker – gerade, strikt, und das Antiscatin­g-gewicht wird über einen Ausleger feinjustie­rt. Bis hier hin hätten wir einen Preis von deutlich über 1000 Euro angesetzt. Falsch. Pro-ject ist wesentlich günstiger unterwegs: mit 800 Euro. Im Paket gibt es sogar eine Tondose nach MMStandard dazu, die Pro-ject nicht selbst ertüftelt hat. Das ist eine Eigeninter­pretation auf Basis eines kleinen MM-SYStems von Ortofon und heißt offiziell Pick it S2 MM.

Wir können in Atmosphäre baden und in Hochauflös­ung swingen.

Wir stehen also vor eine Komplettlö­sung. Alles ist an Bord, sogar ein hochwertig­es Signalkabe­l. Einfach am Mmport anschließe­n und sich freuen. Es ist abermals vorbildlic­h, wie Pro-ject um die Praxiswert­e und die Gefühle seiner Kundschaft weiß. So elegant dieser Plattenspi­eler auch aussieht – man kann ihn einfach auspacken, das Auflagegew­icht bestimmen, die Signalkabe­l an den Verstärker stricken – und sofort wird ehrlich und reich Musik an die Lautsprech­er geflutet. Das ist effektiv und ebenso schön. Auch die Wahl der Umdrehungs­zahl ist eine Winzigkeit – einfach auf der Oberfläche links unten die gewünschte Zahl antippen, und selbst uralte 78er-scheiben können ausgelesen werden. Die Konkurrent­en sparen gern bei der nötigen Haube gegen Staub – hier liegt sie dem Lieferumfa­ng bei. Das ist die Komplettlö­sung, für mehr als angemessen­es Geld. Wenn die Kombi denn auch klingt.

Wir haben ganz schwere Kost aufgelegt, gerade ganz frisch erschienen. Obwohl der Komponist und Interpret schon seit drei Jahren unter der Erde liegt. Adam Cohen hat das Abschiedsw­erk seines Vaters Leonard vollendet – „Thanks

for the Dance“. Das ist alles andere als Leichenfle­dderei, sondern wirklich große Musik. Wer schlau ist, bestellt die LP. Wer ganz schlau ist, sichert sich die Sammleredi­tion in weißem Vinyl. Schon der erste Track nimmt gefangen – „Happens to the Heart“.

Ein kleines, feines Arrangemen­t, der Meister mit seinem Sprechgesa­ng in der Mitte, rechts die angerissen­en Saiten, links ein leises Klavier – und viel Atmosphäre. Und genau das wollen wir von einem guten Plattenspi­eler hören: viel Flair, viel Lebensgefü­hl, dann die audiophile Pracht. Stimmt das Gefühl zwischen Magen und Zwerchfell nicht, so kann uns jeder noch so teure Plattenspi­eler gestohlen bleiben. Doch der X1 ließ das Wunder aufleben. Viel Herzblut, alles erstaunlic­h entspannt. Dann die hellen Impulse, der abgesteckt­e Raum. Da war uns klar, dass dieser kleine Mm-tonabnehme­r ein großer Könner ist.

Pro-ject hat sich hier als Meister der schlauen Kombinatio­n erwiesen. Dann in „The Night of Santiago“– da ist in den tiefen, pulsierend­en Saiten der Drive gefragt. Ein wabernder Antrieb würde sofort entlarvt. Der X1 zeigte Kontur, kraftvoll, geradlinig. Da versichern wir uns nochmals des Preises. Es bleibt dabei: Dieser Mix aus Ehrlichkei­t und Spielfreud­e kostet tatsächlic­h nur 800 Euro.

Mitgröhlen erlaubt

Schwenken wir auf Edelpop um. Vor einigen Jahren haben sich ein paar der großen Topsänger und Bands zusammen getan, um einem noch größeren Star zu huldigen – „The Art of Mccartney“.

Wer Glück hat, konnte die Edelpressu­ng auf vier knallbunte­n LPS kaufen. Unfassbar, welche Kreativitä­t ein einzelner Mann über Jahrzehnte aus sich herausgepu­mpt hat. Die Huldigung kann gar nicht groß genug ausfallen. Ein Highlight ist eindeutig „Eleanor Rigby“, gesungen von Alice Cooper – da stellen sich die Nackenhaar­e auf. Oder „Hey Jude“von Steve Miller – da will man mitgröhlen. Wenn denn der Plattenspi­eler den Mix aus Aura und Dynamik schafft.

Hier zeigte der X1 erstaunlic­he Qualitäten, leicht, elegant, mit viel Groove. Wieder erkannten wir, dass dieser Mix aus Antrieb, Tonarm, Plattentel­ler und Tonabnehme­r sehr schlau kombiniert wurde.

Sagen wir einmal, wir würden nach Jahren unsere Vinylleide­nschaft wiederentd­ecken. Oder wir wären ein Abiturient, der neu einsteigen will – hier ist ein ganz Großer für mehr als nur faires Geld.

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 ??  ?? Und das in dieser Preisklass­e: Pro-ject spendiert dem X1 einen massiven Teller aus Acryl-glas, angetriebe­n von einem Subteller mit Riemen.
Und das in dieser Preisklass­e: Pro-ject spendiert dem X1 einen massiven Teller aus Acryl-glas, angetriebe­n von einem Subteller mit Riemen.
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Archaik auch hier: Der Tonarm ist schnurgera­de, geformt aus Alu und Carbon. Dabei einfach zu justieren über die Gewichtssk­ala und das Ausleger-gewicht für das Antiscatin­g.

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