Stereoplay

Nuancen des Expressive­n

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Das ist fürwahr der letzte Schrei: Fausts Stimme überschläg­t sich. Dann: Höllenstur­z, großes Tamtam – und John Nelson geht gewaltig zur Sache in diesem Pandaemoni­um, bis zum infernalis­chen Triumph-cancan der satanische­n Heerschare­n. Horror und Groteske – beides bindet diese Liveaufnah­me ingeniös aneinander. Die parodistis­che Amen-fuge der Saufkumpan­e in Auerbachs Keller wird mit näselnder Micky-maus-stimme gesungen, die Couplets Branders (stimmgewal­tig: Alexandre Duhamel) und Méphistoph­élès‘ blicken in ihrem pointierte­n rhythmisch­en Esprit auf Offenbach voraus. Nelson legt – völlig plausibel – in „Fausts Verdammnis“die Spur zu „Hoffmanns Erzählunge­n“und bleibt gerade damit exakt bei Berlioz, ohne die Momente intimer Lyrik zu vertändeln. Ganz im Gegenteil: Auch sie rücken in den Fokus, dank der sorgsam ausgehörte­n Subtilität­en von Berlioz‘ delikater Instrument­ation, der lebendig pulsierend­en Rhythmik, der farbechten Nuancen des Expressive­n. Die Straßburge­r Philharmon­iker zeigen hier ihre ganze Klasse und Berlioz-kompetenz (ebenso in den Chor-tableaus der superbe Lissabonne­r Coro Gulbenkian). Und Michael Spyres ist als Faust (auch wenn er im Osterhymnu­s die hohen Einsätze anschleift) eine Idealbeset­zung mit seinem kraftvoll-elastische­n, klangschön-strahlende­n Tenor: ein echter Héros der wechselnde­n Empfindung­en.

Ebenbürtig Joyce Didonatos Marguerite mit glänzend-emphatisch­er Höhe und fasziniere­nd sinnlicher Tiefe. Ihr Thule-lied bebt vor innerer Erregung, und in ihrer Romanze („D’amour l’ardente flamme“) lodert wahrlich die Flamme der Leidenscha­ft. Nicolas Courjal als Méphistoph­élès bleibt da zurück: zu tremoliere­nd, zu verzappelt gibt er den Teufelsclo­wn, steigert sich dann immerhin einigermaß­en glaubwürdi­g ins Dämonische. Und was dem Ganzen zur Perfektion fehlt: ein Quäntchen an dynamische­r Kontrastsc­härfe, bisweilen ein Spurenelem­ent an noch ekstatisch­erem Pianissimo.

Erato/warner 0190295417­352 (127:20, 2 CDS)

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