Die rigorose Klarheit des Rebellen
Auch wenn Friedrich Gulda zeitlebens ein enfant terrible der Musikszene blieb, so muss er zu den ganz großen Pianisten des 20. Jahrhunderts gerechnet werden, und zu einem der bedeutendsten Interpreten der Wiener Klassik. Bereits in den muffigen
Fünfzigern erkannte er als Erster nicht nur die subversiven Energien in Beethovens Klavierwerk, sondern auch den hochentwickelten psychologischen Realismus und die pulsierende Menschennähe in Mozarts Musik; und er fand dafür seinen eigenen glasklarprägnanten Klavierton.
Von dieser besonderen Herzensaffinität Guldas zu seinen musikalischen Hausgöttern kündet jetzt auch ein vom SWR digital restauriertes Konvolut von vier kompletten Solorecitals, die er zwischen 1966 und 1969 in der Stuttgarter Liederhalle gab, und die, wie schon andere postum veröffentlichte Livedokumente, die rigorose Klarheit, den dramatischen Furor und die pulsierende Sinnlichkeit seines Klassikverständnisses auflodern lassen. Sie haben bis heute nichts eingebüßt von ihrer brennenden Aktualität. In acht Beethovensonaten erteilt uns der ewige Klassikrebell eine gründliche Lektion in struktureller Stringenz und rabiatem bis tief innerlichem Weltverbesserungswillen: sein Beethoven glüht vor positiver Lebensenergie und mitreißendem Drive, während er bei Mozart den so entscheidenden Aspekt des Augenblicklichen, der Opernnähe, also das diskontinuierliche Seelenlabyrinth auch in den Klaviersonaten aufspürt.
Und dann gibt es noch ein weiteres Konzert aus dem Jahr 1979, in dem Gulda Präludien und Fugen Bachs auf dem elektrisch verstärkten Clavichord zum Singen und Swingen bringt, sowie 30 Minuten lang „freie“Improvisationen Guldas mit Ursula Anders (Schlagzeug) und Günther Rabl (Bass). AC