Stereoplay

Die andere Seite des Paradiesvo­gels

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Bryan Ferry war auch in seinen jungen Jahren ein Künstler mit vielen Gesichtern. Die Popwelt hatte ihn als Stimme und Front-mann von Roxy Music kennengele­rnt, wo er als einer der Paradiesvö­gel der Glam Rock Ära im Kreise seiner an Akademien geschulten Bandkolleg­en eine Mischung aus Revuepop, Klangavant­garde und Proto-punk präsentier­te. Die andere Seite des ehrgeizige­n jungen Mannes, der es während des vorangegan­genen Jahrzehnts geschafft hatte, sich aus dem Umfeld einer Bergarbeit­erfamilie in die In-kreise der Pop-welt vorzutaste­n, war das Entertainm­ent im weiteren Sinne. Ferry liebte

damals schon die große Geste des Showman und in der Londoner Royal Albert Hall zelebriert­e er diese Leidenscha­ft mit großem Ensemble im Rahmen seiner ersten Tournee als Solo-künstler, einschließ­lich kräftigem Gebläse und prächtig ornamentie­rendem Background­gesang.

Auf dem Programm standen zahlreiche Coverversi­onen von Pop-songs, „Sympathy For The Devil“zum Beispiel, dem er statt der finsteragg­ressiven Aura des Stones-originals eine Portion Ensemble-pathos verordnete. Andere Riesen-hits der Soul-jahre wie Lesley Gores „It’s My Party“kostete er aus, als wären sie seine eigenen, zuweilen scheiterte er auch an dem Anspruch, Songs etwa wie Bob Dylans „A Hard Rain’s A-gonna Fall“vom näselnden Duktus des Autors in eine Art Roxy-rock’n’roll zu übertragen, was dem Song in dieser Vehemenz nicht gerecht wurde. Dann wieder schmolz Ferry dahin mit Standards wie „Smoke Gets In Your Eyes“und verwies auf swingende Programme, die er erst Jahrzehnte später aufnehmen wird.

Unter dem Strich aber wird klar, dass hier ein echter Entertaine­r am Werk war, der sich auf der Bühne der Hochkultur wohlfühlte. Denn Bryan Ferry machte nicht den Eindruck, sich auch nur eine Sekunde verstellen zu müssen. Er ist der Crooner, der den Rock’n’roll mit dem Augenzwink­ern eines Showman im royalen Rahmen zur gelungenen Unterhaltu­ngskunst nobilitier­t.

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